Das Spiel seine Lebens
große Frage: Hatte Christian wirklich Kathys Stimme gehört? Und wenn ja, was bedeutete das?
Jede Menge preguntas. Kaum Antworten.
Er trat an Esperanzas Schreibtisch. »Wie geht's?«
Sie durchbohrte ihn mit einem Blick, sch üttelte angewidert den Kopf und starrte wieder auf die Tischplatte.
»Wieder mal auf Kaffee-Entzug?«, fragte er.
Noch ein b öser Blick. Myron zuckte die Achseln. »Irgendwelche Anrufe?«
Kopfsch ütteln. Esperanza murmelte etwas. Myron glaubte, das spanische Wort für Arschloch aufgeschnappt zu haben.
»Möchtest du mir mitteilen, warum du so genervt bist?«
»Idiot«, sagte sie beißend. »Als ob du das nicht ganz genau wüsstest.«
»Ich weiß es wirklich nicht.«
Der b öse Blick traf ihn wieder. Frauen hatten ein Talent, böse zu blicken; Esperanza hatte es bis zur Perfektion entwickelt.
»Vergiss es«, sagte er. »Ruf Otto Burke an und stell ihn zu mir durch.«
»jetzt?«, sagte Esperanza mit vor Sarkasmus triefender Stimme. »Bist du nicht beschäftigt?«
» Bitte mach's einfach, okay? Du fängst an, mir auf die Nerven zu gehen.«
»Uuhhh. Ich versinke vor Scham im Boden.«
Myron sch üttelte den Kopf. Er hatte jetzt keine Zeit für ihre Launen. Er ging durchs Vorzimmer und öffnete seine Bürotür. Er blieb wie angewurzelt stehen.
»Hi.«
Er r äusperte sich, trat ein und schloss die Tür. »Hallo, Jessica.«
Die meisten Sportler verschwinden langsam aus dem Licht der Öffentlichkeit, dachte Jessica. Doch in ein paar tragischen Fällen wird es schlagartig dunkel, wie bei einem Stromausfall, und der Sportler steht in vollkommener Finsternis.
So war es bei Myron gewesen.
Das Spiel mit den Erwartungshaltungen erleichtert den meisten Sportlern den Ausstieg, weil das Licht dadurch langsam abgedunkelt wird. Der Star von der High School wird zum Bankdr ücker am College. Das Licht nimmt ab. Ein Spieler in der ersten Mannschaft im College erkennt, dass er nicht die meisten Punkte im Team erzielen wird. Das Licht nimmt ab. Der Superstar vom College merkt, dass er es nicht bis zum Profi bringen wird. Das Licht nimmt ab. Und dann gibt es die wenigen Ausnahmen, einen von einer Million, die Profisportler werden.
F ür sie ist das Licht gleißend hell. Das Sehvermögen derjenigen, die direkt hineinblicken, wird unwiderruflich geschädigt. Und deshalb ist das langsame Abdunkeln so wichtig. Ein Star kann sich daran gewöhnen, dass er langsam nicht mehr im Licht der Öffentlichkeit steht. Seine Karriere erreicht ihren Höhepunkt, bevor es langsam bergab geht. Er entwickelt sich vom unbedarften Rookie zu einem mit allen Wassern gewaschenen Vollprofi, und dann, wenn die Jahre des erfahrenen Veteranen sich langsam dem Ende zuneigen, wird es langsam etwas dunkler.
Bei Myron war das anders gelaufen.
Er war einer von wenigen Auserw ählten und aalte sich im glei ßenden Flutlicht der Sportarenen. Es hatte den Anschein, als seien alle Scheinwerfer auf ihn gerichtet und als würde sich dieses Leuchten durch ein aus seinem Innersten kommendes Licht noch verstärken. Sein Talent als Basketballspieler war in der sechsten Klasse erstmals augenfällig geworden. Er hatte jeden Punkt- und Rebound-Rekord in Essex County, New Jersey - seit Ewigkeiten eine Basketball-Hochburg - gebrochen. Für einen Forward war Myron eher klein, offiziell einsachtundneunzig (in Wahrheit nur einsdreiundneunzig), körperlich jedoch war er ein Brecher, ein Stier, und konnte für einen Weißen auch verteufelt gut springen. Er wurde von den Universitäten, die sich auf Basketball spezialisiert hatten, heiß umworben, ging nach Duke und gewann mit der Mannschaft dort in seinen vier Studienjahren zwei Universitätsmeisterschaften.
Bei der Zuteilung der neuen Spieler in ihren Profikader w ählten die Boston Celtics ihn in der ersten Runde. Er wurde als achter Spieler dieses Jahrgangs gedraftet. Myron stand mitten im unglaublich hellen, gleißenden Flutlicht.
Und dann brannte die Sicherung durch.
Sie nannten es einen ungl ücklichen Zufall. Es geschah in einem Saisonvorbereitungsspiel gegen die Washington Bullets. Zwei Spieler, die zusammen an die 300 Kilo wogen, quetschten den Rookie Myron Bolitar zwischen sich ein. Die Arzte bombardierten ihn, dieses Kind im Körper eines Erwachsenen, das nie zuvor verletzt gewesen war, sich nicht einmal einen Fuß verstaucht hatte, mit allen erdenklichen Fachbegriffen. Multiple Frakturen, sagten sie. Gebrochene Kniescheibe. Gips. Rollstuhl. Krücken. Stock.
Jahre.
16 Monate sp äter
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