Das Spiel
habe, trotz der frühen Stunde. Der Empfangstresen ist nicht besetzt, die Münzschlitze an den Getränkeautomaten sind mit schwarzen Bändern zugeklebt, und an den USA To- day-Verkaufsautomaten hängt ein handgeschriebenes Schild: Kaufen Sie Ihre Zeitung bei Tommy's (gegenüber). Ich schaue auf die Hauptstraße. In allen Ladenfenstern sehe ich solche Schilder. Außer Betrieb verkündet das an der Tankstelle. Schließlich gleitet mein Blick zu dem Schild im Frisiersalon: Auf nach Montana - Gott schütze euch!
In der Empfangshalle steht ein Metallregal mit den Touristenbroschüren, in denen Viv geblättert hat. Sehen Sie sich an, wie ein echter Goldbarren gemacht wird! Besuchen Sie das Theater in Leed! Erforschen Sie das Bergwerksmuseum! Schon das verblichene gelbliche Papier läßt vermuten, daß das Museum und das Theater lange geschlossen sind. Goldbarren hat man hier sicher seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Es war ähnlich, als ich nach dem Tod meines Vaters unser Haus ausräumen mußte. Manchmal bringt man es einfach nicht über sich, das ganze alte Zeug wegzuwerfen.
Auf der Herfahrt dachte ich noch, ich wäre hier in meinem Element. Das trifft es nicht einmal annähernd! Das hier ist keine kleine, sondern eine tote Stadt!
»Ganz schön traurig, was?«
Ich fahre herum. Eine junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren kommt aus einem Hinterzimmer in das Foyer und geht hinter den Empfangstresen. Sie ist höchstens fünfundzwanzig. Ihre Hautfarbe und ihre hervortretenden Wangenknochen verraten sie als eingeborene Amerikanerin.
»Hi, Viv!« Sie wischt sich den Schlaf aus den Augen.
Ich sehe Viv entsetzt an. Du hast ihr deinen Namen genannt?
Viv zuckt mit den Schultern und tritt einen Schritt vor. Ich schüttele den Kopf. »Ich schaue nach den Kindern«, sagt sie, kehrt um und geht hinaus.
»Laß nur. Denen geht's gut.« Ich habe nicht vor, sie aus den Augen zu lassen. Sie hat schon genug ausgeplappert. Wenn wir mit jemandem reden, dann nur, weil wir Informationen oder Hilfe brauchen oder nach dem Weg fragen.
»Können Sie uns sagen, wie wir zur Homestead Mine kommen?« frage ich und trete an die Rezeption.
»Sie haben sie also doch wieder aufgemacht?«
»Ich habe keine Ahnung.« Ich stütze mich auf den Tresen. »Jeder antwortet mir darauf etwas anderes.«
»Ich habe es jedenfalls gehört. Obwohl Dad meint, sie hätten noch nicht mit der Gewerkschaft geredet.«
»Fällt denn wenigstens ein bißchen Geld für Sie dabei ab?« frage ich. Vielleicht hat sie ja jemanden im Motel gesehen.
»Hätte man erwarten können. Leider haben sie alles in Wohnwagen angeschleppt. Die Küche, Schlafräume, alles. Damit machen die sich hier nicht gerade sonderlich beliebt.«
»Vielleicht sind sie nur sauer, weil es kein Holiday Inn gibt.«
Sie lächelt über meinen kleinen Scherz. Die großen Hotelketten sind in keiner Kleinstadt gern gesehen.
Dann mustert sie mich und legt den Kopf schief. »Habe ich Sie schon mal gesehen?« erkundigt sie sich.
»Ich glaube nicht...«
»Wirklich nicht? Nicht in Kiwanis?«
»Ganz sicher. Ich komme nicht aus der Gegend.«
»Tatsächlich? Und ich dachte, alle Einheimischen tragen Anzughosen und Flanellhemden.«
Ich zucke unmerklich zurück. Sie scheint sich für mich zu erwärmen, was ich nun überhaupt nicht gebrauchen kann. »Was diese Wegbeschreibung angeht...«
»Natürlich, klar. Folgen Sie einfach der Straße.«
»Welcher?«
»Es gibt nur eine«, meint sie und grinst mich an. »Die Auffahrt hinunter, dann links und dann scharf rechts den Berg hoch.«
Ich lächle instinktiv.
Sie schwingt sich über den Tresen, nimmt meinen Arm und führt mich zur Tür.
»Sehen Sie das Bauwerk da oben? Was aussieht wie ein großes Tipi aus Metall?« Sie deutet auf das einzige Gebäude auf dem Berg. »Das ist das Kopfstück.«
Sie bemerkt meinen verwirrten Gesichtsausdruck.
»Es liegt über dem Minenschacht«, erklärt sie. Ich sehe sie weiter verständnislos an.
»... den manche auch das Große Loch im Boden nennen.« Sie lacht. »Dieses Metallzelt schützt den Schacht bei schlechtem Wetter. Außerdem befindet sich da auch der Käfig.«
»Der Käfig?«
»Der Aufzugkorb. Sie wollen doch sicher runterfahren ...?«
Viv und ich wechseln wortlos einen Blick. Bis zu diesem Augenblick hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet.
»Folgen Sie dem Schild The Homestead«, fährt die Frau fort. »Sie brauchen keine fünf Minuten. Haben Sie da oben zu tun?«
»Später. Eigentlich wollten wir
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