Das Spinnennetz
Dankbarkeit, die er dem Hause für eine über die üblichen Maße und ausnahmsweise genossene Gastfreundschaft schuldig war.
Denn Theodor wurde besser gehalten als jemals einer von den alljährlich gebrauchten Helfern. Theodor war Zeuge in dem Prozeß gegen die Landarbeiter. Er unterhielt sich mit dem Untersuchungsrichter. Er begleitete den Freiherrn nach Berlin. Schon war vollkommene Gefahrlosigkeit sicher. Dennoch genoß Theodor liebevolle Behandlung. Ein schwerverletzter Arbeiter, den man für den Aufrührer hielt, wurde rasch im Spital gesund gepflegt. Er bekam sogar Wein, nachdem sein Wundfieber verschwunden war. Die Anklage legte ihm Haus- und Landfriedensbruch zur Last und Mordversuch.
Der Prozeß dauerte eine halbe Stunde. Der Arbeiter bekam acht Monate Zuchthaus. Der Staatsanwalt saß am Abend mit Theodor Lohse und dem Freiherrn im »Kaiserhof« bei einer Flasche Wein.
Eine Woche später nahm Theodor Abschied vom Gutshof. Er konnte seine Rührung nicht unterdrücken, er dachte daran, daß der alte Freiherr bald sterben werde, er dachte an die Abendstunden, den Gesang der Frösche und der Grillen, die gemeinsamen Gefahren, die ihn mit dem Hause verbunden hatten, und an die Heiligkeit der »Scholle«.
Dann marschierte er an der Spitze der fünfzig ab, zum Bahnhof. Sie sangen auf der breiten Landstraße. Theodor beschloß, ihnen erst in Berlin die Löhnung auszuzahlen. Der Freiherr hatte in der Stunde des Abschieds die drei Tageslöhne nicht abgezogen.
Theodor gedachte es zu tun.
XII
Nun ging er zu Trebitsch. Wie Triumph war sein Gruß. Hielt man ihn für tot? Sieh, es lebte Theodor! Lebendiger als je zuvor. Hatte man ihn vergessen? In den Zeitungen klang sein Name.
Die Wehmut verlor er. Vergaß das Zirpen der Grillen, den Gesang der Mägde, die Scholle. Schon griff er den alten Plan auf. Reiste nach Leipzig. Aber Pfeifer war geflohen ohne Theodors Hilfe. Trebitsch hatte ihn befreit.
Theodor verschmerzte die verlorene Gelegenheit. Noch saßen Zange und Marinelli.
Nach München fuhr er. Bei Kapitän Hartmut fand er Mißtrauen. Trebitsch hatte gearbeitet. Seine Spuren erkannte er.
Nationalsozialismus war ein Wort wie andere. Es bedingt nicht Gesinnung. Er wurde empfangen, von nationalsozialistischen Führern mit Achtung ausgezeichnet vor anderen Wartenden. Man kannte ihn also. Unwissend waren sie. Theodor lüftete sachte Schleier. Er machte neugierig. Sie lebten im Rausch, in Begeisterung. Viele strömten ihnen zu. Sie waren Partei, nicht Geheimverbindung. Jenes schien Theodor machtvoller. Dort arbeitet man mit offenem Visier. Dort vergräbt man sich nicht. Dort klingt der Name wie mit tausend Glocken.
Er ging zu Versammlungen. Alle jubelten. Kleine Bürger tranken Bier. Aßen und jubelten, Krautknödel in den Mündern. Junge Sturmtruppen marschierten in den Saal. Standen an den Wänden. Trugen den Redner durch eine Gasse zwischen Stühlen, Publikum, Tischen. Viertausend Füße trampelten. Kellner flitzten weiß. Scheine raschelten. Es war ein Volksfestjubel. Theodor war neidisch.
Wie arbeitete er schleichend, im verborgenen, umlauert von Feinden, innen und außerhalb!
Er ging in die Werbebüros. Wie kamen sie alle. Junge Arbeiter, Studenten, Handlungsgehilfen. Anderes Material als Theodors Gymnasiasten. Gläubiger waren sie, leichter entflammt, feurig, ehe sie kamen, lodernd, wenn sie aufgenommen waren. Eine Gefahr war Hitler. War Theodor Lohse eine Gefahr? Täglich nannten jenen die Blätter. Wann sah man Theodors Namen?
Aber Unterwerfung forderte der Große, der Naive, Ungebildete, im Rausch der Begeisterung Lebende. Männer, die so wenig wußten, waren sich selbst alles. Sie kannten kein Verhandeln. Sie hatten es nicht nötig. Wenn der Führer sein Büro verließ, grüßten fünfzig Menschen im Vorzimmer, und zwanzig standen stramm. Im Auto fuhr er. Mag sein, daß er nicht alles wußte. Daß man ihn vorschob. Aber ihn kannte jeder. Wer grüßte Theodor Lohse?
Major Seyfarth war unzufrieden. Wie durfte Theodor ihn übergehen? Auf seine Verdienste wies Theodor hin. Ja, Theodor drohte. Der Major sprang auf. Hatte Theodor den Eid nicht geleistet? Eide könne man brechen. Auf zweihundert Verwegene stütze sich die Macht Theodor Lohses. Theodor übertrieb. Kaum fünfzig Gymnasiasten beteten ihn an. Kleine, furchtsame Jungen waren sie.
Seyfarth zog sich zurück. Einen Ausweg wußte er. War nicht Arbeit genug für Theodor Lohse? Agitation? Propaganda? In der Reichswehr etwa? War das nicht ein Weg?
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