Das Spinnennetz
Zeitungen. Nicht vergessen sollte man Theodor Lohse. In Berlin und in München nicht. Man wird ihn nicht vergessen.
Man muß die Arbeiter herausfordern. Kam es zu Kampf – sie vernichten. Hundert Mann – hatten sie Waffen? Hier war ein Arsenal. Man wird Theodor Lohse nicht vergessen. Jeden Tag sangen sie:
Der Verräter zahlt mit Blut,
Schlagt sie tot, die Judenbrut,
Deutschland über alles.
Sie arbeiteten weniger. Sie exerzierten. Sie rückten mit Gewehren aus. Die Arbeiter hungerten. Ihre Kinder bekamen dünne Hälse und große Köpfe. Die Frauen kreischten, wenn sie Theodors Leute sahen. Sie riefen: »Hunde!«
Man schoß in die Luft. Arbeiter kamen, hundert, zweihundert aus der Nachbarschaft. Sie trugen Stöcke. Sie warfen Steine. Sie zogen zum Gutshof.
Theodor ließ sie in den Hof. Drinnen schrien sie. Sie drängten gegen das Haus. Fensterscheiben klirrten wehmütig. In den Fenstern lag Bettzeug zum Auffangen der Steine. Ein Arbeiter, von Kameraden auf die Schultern gehoben, hielt eine Rede.
Theodor schoß. Der Arbeiter schwankte. Auseinander stoben alle. Vor dem Tor strömten sie zusammen und rüttelten vergebens an der dreifachen Riegelung. Sie schwangen sich über die Mauer. Aber drüben blitzten Gewehrläufe. Die Arbeiter ließen sich in den Hof fallen. Aus dem Hause tönten Schüsse.
Die Sterbenden stöhnten. Die Lebenden schwiegen. Es erhob sich eine große Ruhe. Es wehte Stille aus dem Hofe wie aus einem weiten, geöffneten Grab. Heiße Sonne strahlte von den Pflastersteinen wider. Hoch in der Luft trillerten Lerchen.
Eine Hummel surrte wie ein großer Kreisel. Aus der Ferne scholl die Stimme eines Hundes herüber. Glocken der Dorfkirche dröhnten.
Viele entkamen über die Mauer, schlugen die lauernden Schützen nieder und entflohen. Dreißig blieben liegen, verwundet und tot. Blutgerinnsel zeichnete Landkarten auf das weiße Pflaster des Hofes.
Spät kam Gendarmerie, trank Bier auf dem Hofe, noch war das Blut nicht getrocknet. Ein Grübchen im Kinderkinn hatte der junge Untersuchungsrichter und ein Hakenkreuz im Knopfloch.
Es schrieben die Zeitungen: Blutiger Aufstand der Landarbeiter! Eine Heldentat der Technischen Nothilfe! in die horchende Welt.
Reporter kamen. Theodor Lohse sprach mit ihnen. Theodor Lohse stand in der Zeitung. Ein Student, Leutnant der Reserve, hat den Aufstand niedergeschlagen: Theodor Lohse.
Der Sonntag war Sammeltag für die Technische Nothilfe. Weißgekleidete Kinder verkauften Kornblumen aus Leinwand in den Straßen Berlins.
XI
Theodor hörte das rote Blut, es schrie, es brüllte, wie aus tausend Kehlen, es flammte, wie tausend Feuersbrünste, purpurne Räder kreisten in der Luft, purpurne Kugeln rollten auf und nieder. Aus seinem Innern kam das rauschende Rot, es erfüllte ihn und machte ihn leicht, ein roter Jubel kam über ihn, ein Triumph hob ihn empor.
Aber wehmütig war er in den Abendstunden, wenn die Fledermäuse zu flattern begannen und die Frösche quakten, das Wispern der Grillen unablässiger und eindringlicher wurde und eine Magd bei der letzten Arbeit des Tages sang. Gerührt, mit einer schluchzenden Seele, betrachtete er den abendlich geröteten Himmel, und er pfiff wehmütige Lieder. Ihm war wie in der Kaiser-Wilhelm-Diele, wenn die Musik das Lied vom schwarzbraunen Mägdlein spielte.
Er gewann seinen Glauben an die Sache wieder, der er diente, wenn der alte Freiherr traurig wurde und von deutschen Landen zu reden begann, die den Polacken anheimgefallen. Irgendwo hörte Theodor Hörner blasen, einer Kriegstrompete aufschreckenden und sterbebangen Ruf. Er war mitten im Krieg, er kämpfte und stritt, er verteidigte heilige Erde, und er war bereit, sein Blut zu verspritzen, wenn der alte Freiherr das Wort »Scholle« sagte. Er sprach ein langes, sehnsüchtig klingendes O und ein hartes ostpreußisches L, er holte Atem, ehe er die erste Silbe aussprach, und stieß ihn bei der zweiten Silbe aus mit einem Seufzer. Theodor sah manchmal in dem alten Freiherrn das Bild eines der letzten deutschen Adeligen, denen in der neuen Zeit der Untergang drohte.
So war es nicht immer. Wenn es regnete und Theodor in der Bibliothek des Freiherrn saß, las er Romane in der »Woche«, betrachtete in Zeitschriften Photographien großer Männer, wurde nüchtern, wie er immer gewesen, und den Freiherrn sah er nicht mehr begeistert, sondern als einen alten, mit kleinen Lächerlichkeiten behafteten Mann, wie ihn alle sahen; mit verzeihendem Verständnis allerdings und einer
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