Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
dass er Gott naturalisiert.«
»Bis jetzt höre ich noch nichts über Ethik.«
»Da musst du auf die Teile vier und fünf warten. Zunächst stellt er fest, dass wir in einer deterministischen Welt leben, die voller Hindernisse für unser Wohlergehen ist. Was immer sich ereignet, ist ein Ergebnis der unveränderlichen Gesetze der Natur, und wir sind ein Teil der Natur und diesen deterministischen Gesetzen unterworfen. Weiterhin ist die Natur unendlich komplex. Wie er es ausdrückt, weist die Natur eine unendliche Anzahl von Modi oder Attributen auf, und wir Menschen können nur zwei davon begreifen, nämlich Gedanken und das Wesen der Dinge.«
Alfred stellte noch einige weitere Fragen zur Ethik , aber Friedrich merkte, dass er anscheinend nur darauf aus war, das Gespräch in Gang zu halten. Friedrich wartete geduldig den rechten Zeitpunkt ab und riskierte dann eine Beobachtung: »Du glaubst nicht, wie sehr ich es genieße, die Erinnerung an Spinoza aufzufrischen und mit dir zu diskutieren. Aber ich möchte sicher sein, dass ich nichts übersehen habe. Als Therapeut habe ich gelernt, auf meine Intuition zu achten. Und nun sagt mir meine Intuition etwas, was mit dir zu tun hat.«
Alfred hob die Augenbrauen und sah ihn erwartungsvoll an.
»Meine Intuition sagt mir, dass du nicht nur über Spinoza, sondern auch über etwas anderes mit mir sprechen wolltest.«
Sag ihm die Wahrheit , sagte Alfred zu sich. Erzähl ihm von deiner Anspannung. Von deiner Schlaflosigkeit. Davon, dass du nicht geliebt wirst. Davon, dass du immer ein Außenseiter bist, immer außen vor statt beteiligt. Aber stattdessen sagte er: »Nein, es war wunderbar, dich zu treffen, mich auf den neuesten Stand zu bringen und mehr über Spinoza zu erfahren – wann hat man schon die Möglichkeit, über einen Spinoza-Kenner zu stolpern? Und obendrein habe ich eine gute Story für die Zeitung. Wenn du mir irgendwelche medizinischen Abhandlungen über Kriegsneurosen geben könntest, würde ich im Zug nach München einen Artikel schreiben und ihn schon in der nächsten Wochenausgabe veröffentlichen. Ich schicke ihn dir dann zu.«
Friedrich ging zu seinem Schreibtisch und blätterte in mehreren Fachzeitschriften. »Hier, im Journal of Nervous Diseases, gibt es eine gute Besprechung. Nimm die Ausgabe mit und schick sie mir zurück, wenn du sie nicht mehr brauchst. Und hier ist auch Eugens Adresse.«
Als Alfred sich langsam, fast widerstrebend erhob, beschloss Friedrich, einen letzten Versuch zu riskieren – ein weiteres Werkzeug, das sein eigener Analytiker ihm gezeigt hatte und das er häufig bei seinen Patienten anwendete. Es wirkte fast immer.
»Bleib noch einen Augenblick, Alfred. Ich habe noch eine letzte Bitte: Ich bitte dich, dir etwas vorzustellen. Schließe die Augen und stelle dir vor, dass du dich jetzt von mir verabschiedest. Stelle dir vor, dass du unsere Unterhaltung beendest, dich dann in den Zug setzest und die lange Fahrt nach München antrittst. Sag mir Bescheid, wenn du glaubst, dass du im Zug sitzest.«
Alfred schloss die Augen und signalisierte kurz darauf, dass er bereit war.
»So. Und nun möchte ich, dass du Folgendes machst: Denke an unser Gespräch von heute Abend zurück und stelle dir folgende Fragen: Gibt es etwas, was ich im Zusammenhang mit dem Gespräch mit Friedrich bedauere? Gab es wichtige Themen, die ich nicht angeschnitten habe?«
Alfred hielt die Augen geschlossen, und nach langem Schweigen nickte er langsam: »Nun, ein Thema gibt es tatsächlich …«
23
AMSTERDAM, 27. JULI 1656
Als Bento seinen Namen hörte, fuhr er herum und sah einen in Tränen aufgelösten Franco, der sofort auf die Knie fiel und den Kopf so tief beugte, dass er das Straßenpflaster mit der Stirn berührte.
»Franco? Was machen Sie hier? Und was machen Sie da auf dem Boden?«
»Ich musste Sie aufsuchen, um Sie zu warnen, um Sie um Vergebung zu bitten. Bitte vergeben Sie mir. Bitte erlauben Sie mir, es zu erklären.«
»Franco, stehen Sie auf. Es ist gefährlich für Sie, wenn man Sie mit mir zusammen sieht. Ich bin gerade auf dem Heimweg. Folgen Sie mir mit Abstand und treten Sie dann einfach ohne zu klopfen ein. Aber überzeugen Sie sich vorher, dass niemand Sie sieht.«
In Bentos Studierstube fuhr Franco wenige Minuten später mit bebender Stimme fort: »Ich komme gerade aus der Synagoge. Die Rabbiner haben Sie verflucht. Bösartig – so bösartig waren sie. Ich verstand alles, weil sie es ins Portugiesische übersetzten – ich
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