Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
schlimmen Konsequenzen durchaus bewusst waren.«
Sie verfielen in Schweigen. Bentos beklemmendes Gefühl der vollkommenen Isolation, nachdem Manny, der Sohn des Bäckers, ihm aus dem Weg gegangen war, verblasste allmählich. Diese Unterhaltung, dieser Moment der Aufrichtigkeit mit Franco, berührte ihn und wärmte seine Seele. Wie es seine Art war, hielt er sich nicht lange mit Gefühlen auf, sondern wechselte zur Rolle des Beobachters, durchforschte seine Seele und spürte insbesondere die Milde, die ihn durchströmte. Obwohl er sich ihrer Flüchtigkeit voll bewusst war, kostete er diese angenehme Empfindung voll aus. Ach, Freundschaft! Das ist also der Klebstoff, der Menschen zusammenhält – diese Wärme, dieser die Einsamkeit vertreibende Seelenzustand. Dadurch, dass er an so vielem zweifelte, sich vor so vielem fürchtete, so wenig von sich preisgab, hatte er Freundschaft viel zu selten in seinem Leben erfahren.
Franco warf einen Blick auf Bentos gepackte Tasche und brach das Schweigen. »Sie reisen heute ab?«
Bento nickte.
»Wohin? Was werden Sie tun? Wovon werden Sie leben?«
»Hoffentlich führt mein Weg mich zu einem unbelasteten Leben der Besinnung. Vergangenes Jahr lernte ich bei einem hier ansässigen Linsenschleifer, Linsen für Brillen anzufertigen und, was mich noch viel mehr interessierte, auch optische Instrumente, also Teleskope und Mikroskope. Meine Bedürfnisse sind gering, und ich sollte in der Lage sein, meinen Lebensunterhalt ohne Schwierigkeiten zu bestreiten.«
»Werden Sie hier in Amsterdam bleiben?«
»Im Augenblick, ja. Ich werde im Haus von Franciscus van den Enden wohnen, der eine Lateinschule an der Singel führt. Irgendwann ziehe ich vielleicht in eine kleinere Gemeinde um, wo ich meinen eigenen Studien in einer ruhigen Umgebung nachgehen kann.«
»Werden Sie ganz allein auf sich gestellt sein? Ich kann mir vorstellen, dass das Stigma der Exkommunikation andere von Ihnen fernhalten wird?«
»Ganz im Gegenteil, es wird einfacher sein, als exkommunizierter Jude unter Nichtjuden zu leben. Vielleicht insbesondere als dauerhaft exkommunizierter Jude im Vergleich mit einem abtrünnigen Juden, der nur nichtjüdischen Umgang sucht.«
»Das ist also ein weiterer Grund, weshalb Ihnen ein Cherem nicht ungelegen kam?«
»Ja, das gebe ich zu, und es gibt noch etwas: Ich möchte irgendwann zu schreiben beginnen, und vielleicht bestehen größere Aussichten, dass eine breitere Bevölkerung das Werk eines exkommunizierten Juden liest als das eines Mitglieds der jüdischen Gemeinde.«
»Das wissen Sie genau?«
»Reine Spekulation, aber ich habe bereits Beziehungen zu mehreren gleichgesinnten Kollegen geknüpft, die mich ermutigen, meine Gedanken aufzuschreiben.«
»Und das sind Christen?«
»Ja, aber eine andere Art von Christen als die fanatischen iberischen Katholiken, die Sie kennen. Sie glauben weder an das Wunder der Auferstehung, noch trinken sie beim Gottesdienst Jesus’ Blut oder verbrennen Menschen bei lebendigem Leib, die anders denken. Es sind liberal gesinnte Christen, die sich Kollegianten nennen und ohne Priester oder Kirchen selbständig denken.«
»Demnach haben Sie die Absicht, zu konvertieren und sich ihnen anzuschließen?«
»Niemals. Ich beabsichtige, ein religiöses Leben ohne den Einfluss irgendeiner Religion zu führen. Ich glaube, dass alle Religionen, sei es der Katholizismus, der Protestantismus, der Islam oder auch das Judentum, uns nur den Blick auf die religiösen Kernwahrheiten versperren. Ich hoffe, dass wir eines Tages in einer Welt ohne Religionen leben werden, in einer Welt mit einer universalen Religion, in welcher jeder Einzelne seine Vernunft einsetzt, um Gott zu erforschen und zu ehren.«
»Heißt das, dass Sie sich ein Ende des Judentums wünschen?«
»Ein Ende aller Traditionen, die das Recht des Einzelnen behindern, selbständig zu denken.«
Franco verfiel einige Augenblicke lang in Schweigen. Dann: »Bento, Sie sind so extrem, dass mir angst und bange wird. Es raubt mir den Atem, wenn ich mir vorstelle, dass unsere Tradition, nachdem sie nun Tausende von Jahren überlebt hat, verschwinden soll.«
»Wir sollten Dinge bewahren, weil sie wahr sind, nicht weil sie alt sind. Alte Religionen locken uns in die Falle, indem sie steif und fest behaupten, dass wir, wenn wir unsere Traditionen aufgeben, alle Gläubigen entehren, die vor uns lebten. Und falls einer unserer Vorfahren als Märtyrer sterben musste, sitzen wir erst recht in der Falle,
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