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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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größter Gefahr, die Parnassim hätten mich dennoch exkommuniziert und Sie noch dazu.«
    »Baruch Spinoza …«
    »Bitte nennen Sie mich Bento. Einen Baruch Spinoza gibt es nicht mehr.«
    »Gut, dann also Bento . Bento Spinoza, Sie sind mir ein Rätsel. Nichts von dem, was heute geschah, ergibt einen Sinn. Beantworten Sie mir eine einfache Frage: Wenn Sie aus dieser Gemeinde ausscheiden wollten, warum sind Sie nicht einfach aus freiem Willen gegangen? Warum luden Sie sich selbst eine solche Schande und ein solches Unglück auf? Warum sind Sie nicht einfach fortgegangen? Woandershin?«
    »Wohin? Sehe ich holländisch aus? Ein Jude kann nicht einfach verschwinden. Und denken Sie an meinen Bruder und meine Schwester. Denken Sie daran, wie schrecklich es wäre, sie zu verlassen und sich dann immer wieder aufs Neue dafür entscheiden zu müssen, ihnen fernzubleiben. So ist es besser. Und auch besser für meine Familie. Jetzt brauchen sie sich nicht immer wieder neu zu entscheiden, ob sie mit ihrem Bruder sprechen wollen oder nicht. Der Cherem des Rabbiners hat ihnen und mir diese Entscheidung ein für alle Mal abgenommen.«
    »Sie wollen damit also sagen, es wäre besser, sein eigenes Schicksal in die Hände anderer zu legen. Es wäre besser, sich nicht selbst zu entscheiden, sondern andere zu zwingen, die Entscheidung für einen zu treffen? Sagten Sie nicht gerade eben, dass man immer eine Wahl hat?«
    Verblüfft sah Bento abermals diesen anderen Franco an, einen aufmerksamen, zugänglichen Franco, der keine Spur dieses schüchternen, tollpatschigen Franco erkennen ließ, den er von den vergangenen Treffen kannte. »In Ihren Worten liegt viel Wahrheit. Was brachte Sie dazu, so zu denken?«
    »Mein Vater, der von der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, war ein weiser Mann. Bevor sie ihn zur Konvertierung zwangen, war er Großrabbiner und Ratgeber unserer Gemeinde. Auch nachdem wir alle Christen waren, suchten die Leute vom Dorf ihn immer noch auf, um schwierige Alltagsprobleme mit ihm zu besprechen. Ich saß oft an seiner Seite und erfuhr viel über Schuld, Schande, Entscheidungen und Trauer.«
    »Sie sind der Sohn eines weisen Rabbiners? Bei unseren Treffen mit Jacob haben Sie demnach Ihr Wissen und Ihre wirklichen Gedanken verschwiegen. Als ich über die Worte der Thora sprach, schützten Sie Nichtwissen vor.«
    Franco senkte den Kopf und nickte. »Ich gebe zu, dass ich Ihnen etwas vorgespielt habe. Aber ich weiß wirklich nichts über die jüdische Religion. In seiner Weisheit und aus Liebe zu mir wünschte mein Vater nicht, dass ich in unserer Tradition erzogen wurde. Wollten wir am Leben bleiben, mussten wir Christen sein. Er brachte mir bewusst weder die jüdische Sprache noch jüdische Bräuche bei, denn die durchtriebenen Inquisitoren waren sehr geschickt darin, alle Spuren jüdischen Gedankengutes auszukundschaften.«
    »Und Ihr Wutausbruch über den Wahnsinn der Religionen? War der auch gespielt?«
    »Absolut nicht! Ja, Jacob hatte für mich vorgesehen, große religiöse Zweifel zu äußern, um Ihnen die Zunge zu lösen. Aber diese Rolle war einfach – bestimmt gibt es keinen Schauspieler, der je eine einfachere Rolle zu spielen hatte. Tatsächlich war es eine große Erleichterung für mich, diese Worte auszusprechen. Bis dahin hatte ich meine Gefühle noch nie preisgegeben. Je mehr christliche Glaubensgrundsätze und Geschichten über Wunder mir aufgezwungen wurden, desto klarer wurde mir, dass sowohl der christliche wie auch der jüdische Glaube auf kindischen, übernatürlichen Phantasien beruhen. Aber darüber konnte ich mit meinem Vater nicht sprechen. Einen solchen Schmerz konnte ich ihm nicht zufügen. Dann wurde er dafür ermordet, dass er Blätter aus der Thora versteckte, auf denen seiner Überzeugung nach die wirklichen Worte Gottes standen. Und wiederum konnte ich nichts sagen. Ihre Gedanken zu hören war so befreiend, dass ich fast nicht mehr das Gefühl hatte, Ihnen etwas vorzuspielen, wenngleich meine aufrichtige Zustimmung zu Ihren Worten in Wahrheit im Dienst der Täuschung stand. Ein komplexes Paradoxon.«
    »Ich verstehe genau, was Sie sagen wollen. Während unserer Gespräche war es auch für mich ein erhebendes Gefühl, endlich die Wahrheit über meine Überzeugungen aussprechen zu können. Obwohl ich wusste, dass ich Jacob empörte, hielt ich mich nicht im Mindesten zurück. Ganz im Gegenteil: Ich gestehe, dass ich sogar Gefallen daran fand, ihn zu empören, obwohl mir die

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