Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
ansatzweise auch bei Hebräisch und Aramäisch. Aber Portugiesisch leider nein. Sie sprechen übrigens ausgezeichnet Holländisch. Warum schreiben Sie nicht auf Holländisch? Sie sind doch bestimmt hier geboren?«
»Ja. Mein Vater emigrierte als Kind aus Portugal. Obwohl ich bei meinen geschäftlichen Verhandlungen Holländisch spreche, bin ich im Schriftlichen nicht perfekt. Manchmal schreibe ich auch auf Spanisch. Und ich vertiefe mich gerade ins Studium der hebräischen Sprache.«
»Seit jeher sehne ich mich danach, die Heilige Schrift einmal in ihrer Originalsprache zu lesen. Leider war mein Hebräischunterricht bei den Jesuiten nur sehr unzulänglich. Aber Sie schulden mir noch immer eine Antwort darauf, was Sie da schreiben.«
»Ihre Folgerung, dass ich über Budgets und eine Verbesserung der Verkaufszahlen schreibe, basiert, wie ich annehme, auf meiner Bemerkung, dass die Geschäfte schlecht gehen. Eine verständliche Deduktion, aber in diesem speziellen Fall vollkommen unrichtig. Meine Gedanken beschäftigen sich nur selten mit geschäftlichen Dingen, und ich schreibe niemals darüber.«
»Ich nehme alles zurück. Aber bevor ich den Fokus Ihres Schreibens weiter verfolge, erlauben Sie mir bitte, kurz abzuschweifen – eine pädagogische Anmerkung, eine Angewohnheit, die ich nur schwer ablegen kann: Ihr Gebrauch des Wortes ›Deduktion‹ ist korrekt. Der Vorgang, auf bestimmten Beobachtungen aufzubauen, um eine rationale Schlussfolgerung zu ziehen, mit anderen Worten, aus bestimmten Beobachtungen von unten her eine Theorie aufzubauen, heißt Induktion, wohingegen eine Deduktion mit einer a-priori-Theorie beginnt und dann abwärts zu verschiedenen Schlussfolgerungen führt.«
Als van den Enden Spinozas nachdenkliches, vielleicht auch dankbares Nicken registriert, fährt er fort: »Wenn es nicht die Geschäfte sind, worüber schreiben Sie dann?«
»Ach, nur darüber, was ich vor dem Fenster meines Ladens sehe.«
Van den Enden dreht sich um und folgt Bentos Blick zur Straße hinaus.
»Sehen Sie. Alle sind in Bewegung. Sie hasten hin und her. Den ganzen Tag, ihr ganzes Leben lang. Mit welchem Ziel? Reichtum? Ehre? Sinnenlust? Solche Ziele weisen ganz sicher in die falsche Richtung.«
»Warum?«
Bento hat alles gesagt, was er sagen wollte, doch ermutigt von den Fragen seines Kunden fährt er fort: »Solche Ziele vervielfältigen sich. Jedes Mal, wenn ein Ziel erreicht ist, brüten sie nur weitere Bedürfnisse aus. Folglich noch mehr Hasten, noch mehr Suchen, ad infinitum. Der wahre Weg zu unvergänglichem Glück muss anderswo liegen. Darüber denke ich nach, und darüber schreibe ich.« Bento läuft puterrot an. Nie zuvor hat er solche Gedanken laut ausgesprochen.
Das Gesicht des Kunden verrät großes Interesse. Er stellt seine Einkaufstasche ab, tritt näher und starrt Bento ins Gesicht.
Das war der Moment – der Moment der Momente. Bento liebte jenen Moment, jenen überraschten Blick, jenes neue, wachsende Interesse und jene Wertschätzung im Gesicht des Fremden. Und was für ein Fremder er war! Ein Sendbote aus der großen Welt da draußen, aus der nichtjüdischen Welt. Ein offensichtlich einflussreicher Mann. Es war ihm unmöglich, sich jenen Moment nur ein einziges Mal in Erinnerung zu rufen. Vielmehr spielte er diese Begebenheit ein weiteres Mal und manchmal auch ein drittes und viertes Mal durch. Und jedes Mal, wenn er sie sich vor Augen führte, füllten sich seine Augen mit Tränen. Ein Lehrer, ein eleganter Mann von Welt, interessierte sich für ihn, nahm ihn ernst, dachte vielleicht: »Das ist ja ein außergewöhnlicher junger Mann.«
Nur mit Mühe riss Bento sich von diesem Moment der Momente los und fuhr mit seiner Erinnerung an dieses erste Zusammentreffen fort.
Der Kunde lässt nicht locker: »Sie sagen, dass unvergängliches Glück woanders liege. Erzählen Sie mir von diesem ›woanders‹.«
»Ich weiß nur, dass es nicht in vergänglichen Zielen liegt. Es ist die Seele, die bestimmt, was angstvoll, wertlos, wünschenswert oder unschätzbar ist, und deshalb ist es die Seele und nur die Seele, die einer Veränderung bedarf.«
»Wie heißen Sie, junger Mann?«
»Bento Spinoza. Auf Hebräisch werde ich Baruch genannt.«
»Und auf Lateinisch ist Ihr Name Benedictus. Ein schöner, gesegneter Name. Ich bin Franciscus van den Enden. Ich leite eine Lateinschule. Spinoza, sagen Sie … hmm, vom lateinischen spina und spinosus , was so viel wie ›Dorn‹ und ›voller Dornen‹
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