Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
zog seine Pistole.
»Ich bin nur der Wärter. Ich weiß nichts darüber.«
»Wer weiß es?«
In diesem Augenblick kamen seine Männer mit Johannes Diderik Bierens de Haan herein, dem betagten Vorsitzenden der Spinoza-Gesellschaft, einem würdevollen, gutgekleideten, älteren Mann mit weißem Ziegenbart und Stahlrandbrille. Alfred drehte sich zu ihm um und fuchtelte mit der Pistole in Richtung des halb leeren Bücherschrankes. »Wir sind wegen der Bibliothek hier, die wir sicherstellen wollen. Wo sind die anderen dreiundachtzig Bücher? Halten Sie uns für Idioten?«
Bierens de Haan wirkte erschüttert, sagte aber nichts.
Alfred stolzierte im Raum herum. »Und, Herr Vorsitzender, wo ist Einsteins Gedicht, das früher genau hier hing?« Alfred tippte mit der Pistole auf eine Stelle an der Wand.
Inzwischen war Bierens de Haan anscheinend vollkommen durcheinander. Er schüttelte den Kopf und murmelte: »Ich weiß überhaupt nichts davon. Ich habe noch nie im Leben dort ein Gedicht hängen sehen.«
»Wie lange sind Sie schon für das hier zuständig?«
»Fünfzehn Jahre.«
»Dieser Wärter, dieser fette, zerlumpte Schandfleck, der hier Anfang der zwanziger Jahre gearbeitet hat und der so tat, als gehörte ihm hier alles. Wo ist er?«
»Vermutlich meinen Sie Abraham. Er ist schon lange tot.«
»Glück für ihn. Wie schade. Ich hätte ihn so gern wiedergesehen. Haben Sie Familie, Herr Spinoza-Haus-Vorsitzender?«
Ein Nicken von Bierens de Haan.
»Sie haben die Wahl: Entweder führen Sie uns zu den Büchern, und wir lassen Sie augenblicklich zu Ihrer Familie und in Ihre warme Küche gehen, oder Sie sagen es uns nicht, dann wird es sehr lange dauern, bis Sie sie wiedersehen werden. Wir finden die Bücher, das garantiere ich Ihnen, und wenn wir dieses Museum in alle seine Einzelteile zerlegen, bis nur noch ein Haufen Holz und Schutt übrig ist. Und damit werden wir jetzt sofort anfangen.«
Keine Antwort von Bierens de Haan.
»Und anschließend machen wir das Gleiche mit dem Haus nebenan. Und dann kommt Ihr Haus dran. Wir finden die Bücher – das garantiere ich Ihnen.«
Bierens de Haan dachte einen Augenblick nach, fuhr dann unerwartet auf dem Absatz zu Egmond herum und sagte: »Führen Sie sie zu den Büchern.«
»Und ich verlange auch das Gedicht«, setzte Alfred hinzu.
»Es gibt kein Gedicht«, blaffte Bierens de Haan zurück.
Der Wärter führte sie nebenan zu einem verborgenen Schrank in der Vorratskammer, wo die restlichen Bücher nicht besonders sorgfältig unter einer Plane gestapelt und mit Geschirr und Konserven zugestellt waren. Die Soldaten verpackten die Bibliothek und alle anderen Wertgegenstände – Bilder von Spinoza, ein Landschaftsbild aus dem siebzehnten Jahrhundert, eine Bronzebüste von Spinoza, ein kleines Lesepult – professionell in Holzkisten und trugen sie zu ihrem Laster. Zwei Stunden später waren die Plünderer und ihre Schätze schon auf dem Weg nach Amsterdam. »Ich habe an vielen solchen Operationen teilgenommen, Reichsleiter Rosenberg«, sagte Schimmer auf der Rückfahrt, »aber noch nie an einer, die so professionell durchgeführt wurde. Es war ein Privileg, Sie in Aktion zu sehen. Woher wussten Sie, dass die Bücher fehlten?«
»Ich weiß eine ganze Menge über diese Bibliothek. Sie wird für die Hohe Schule von unschätzbarem Wert sein. Sie wird uns dabei helfen, das Spinoza-Problem zu lösen.«
»Das Spinoza-Problem?«
»Zu kompliziert, um es Ihnen jetzt im Einzelnen zu erklären. Sagen wir einfach, es handelt sich um einen grandiosen jüdischen Schwindel auf dem Gebiet der Philosophie, der schon seit vielen Jahrhunderten herumgeistert. Ich beabsichtige, mich persönlich darum zu kümmern. Liefern Sie die Bücher direkt an das ERR -Büro in Berlin.«
»Und mich hat beeindruckt, wie Sie mit dem alten Mann umgesprungen sind. Kaltblütig. Professionell. Er ist sofort eingebrochen.«
Alfred tippte sich auf die Stirn. »Zeige deine Stärke. Zeige dein überlegenes Wissen und deine Entschlossenheit. Sie halten sich für besonders schlau, zittern aber bei dem Gedanken, dass ihr Haus in Schutt und Asche gelegt wird. Sobald ich davon sprach, dass es vielleicht keine warme Küche mehr gibt, war das Spiel vorbei. Genau deswegen werden wir in ganz Europa vorherrschen.«
»Und was ist mit dem Gedicht?«
»Das war unendlich weniger wert als die Bücher. Es war klar, dass er die Wahrheit sagte: Niemand, der diese unschätzbar wertvolle Bibliothek aufgibt, würde sich für ein
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