Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
dir besonders ans Herz legen, Baruch – es ist ein entscheidender Punkt, den du begreifen musst. Atheismus oder die Missachtung religiöser Gesetze und Instanzen – seien es jüdische oder christliche – ist ausdrücklich verboten . Wenn wir den holländischen zivilen Behörden den Eindruck vermitteln, dass wir uns nicht selbst regieren können, werden wir unsere kostbare Freiheit verlieren und uns abermals der Herrschaft der christlichen Instanzen unterwerfen müssen.«
Rabbi Mortera hielt abermals inne. »Meine Geschichtsstunde ist damit beendet. Meine große Hoffnung ist nun, dass du verstehst, dass wir immer noch ein separiertes Volk sind, dass wir, obwohl wir heute eine begrenzte Freiheit genießen, niemals ganz und gar autonom sein können . Selbst heute ist es nicht einfach, uns als freie Menschen selbst zu erhalten, weil uns so viele Berufe verschlossen sind. Denk daran, Baruch, wenn du über ein Leben ohne diese Gemeinde nachdenkst. Es könnte sein, dass du den Hungertod wählst.«
Baruch wollte antworten, doch der Rabbiner brachte ihn mit erhobenem Zeigefinger zum Schweigen. »Es gibt noch einen Punkt, den ich ansprechen möchte. In diesen Tagen wird das eigentliche Fundament unserer religiösen Kultur angegriffen . Die Wellen von Immigranten, die noch immer aus Portugal über uns hereinbrechen, sind Juden ohne jegliche jüdische Ausbildung. Es war ihnen verboten, Hebräisch zu lernen; sie wurden gezwungen, die katholische Glaubenslehre zu lernen und den katholischen Glauben zu praktizieren. Sie stehen zwischen zwei Welten, mit einem unsicheren Glauben an die katholische Lehre einerseits und an jüdische Glaubensgrundsätze andererseits. Es ist meine Mission, sie zurückzugewinnen, sie wieder nach Hause zu holen, zurück zu ihren jüdischen Wurzeln zu führen. Unsere Gemeinde wächst und entwickelt sich: Wir bringen bereits Wissenschaftler, Poeten, Stückeschreiber, Kabbalisten, Mediziner und Drucker hervor. Wir stehen an der Schwelle zu einer bedeutenden Renaissance, und es gibt hier einen Platz für dich. Deine Bildung, dein wacher Geist und deine Begabung als Lehrer wären uns eine unendlich große Hilfe. Wenn du an meiner Seite unterrichtetest und meine Aufgaben übernähmest, wenn ich nicht mehr bin, würdest du die Träume deines Vaters erfüllen – und auch meine Träume.«
Verblüfft sah Baruch dem Rabbiner in die Augen: »Was meinen Sie mit ›meine Aufgaben übernehmen‹? Ihre Worte verwirren mich. Vergessen Sie nicht, dass ich ein Krämer bin, und ich stehe unter Cherem .«
»Der Cherem steht noch bevor. Er ist erst dann Wirklichkeit, wenn ich ihn in der Synagoge öffentlich ausgesprochen habe. Ja, die Parnassim sind die letzte Instanz, aber mein Einfluss auf sie ist groß. Zwei Marranen, Franco Benitez und Jacob Rodriguez, die sich uns gerade erst angeschlossen haben, legten gestern vor den Parnassim Zeugnis ab, ein Zeugnis, welches dich schwer belastet. Sie berichteten, du glaubtest, dass Gott nichts weiter als die Natur sei und dass es kein Leben nach dem Tod gebe. Ja, das war schwerwiegend, doch unter uns gesagt, misstraue ich ihrer Aussage, und ich weiß, dass sie deine Worte verzerrt haben. Sie sind Neffen von Duarte Rodriguez, der dir noch immer zürnt, weil du dich an das holländische Gericht wandtest, um deine Schuld an ihn nicht bezahlen zu müssen. Ich bin davon überzeugt, dass er sie zum Lügen anstiftete. Und glaube mir, ich bin nicht der Einzige, der das glaubt.«
»Sie haben nicht gelogen, Rabbi.«
»Baruch, besinne dich. Ich kenne dich seit deiner Geburt, und ich weiß, dass du wie jeder andere von Zeit zu Zeit auf törichte Gedanken kommen kannst. Ich flehe dich an: Studiere mit mir, lass mich deine Seele läutern. Und nun höre mir zu. Ich schlage dir ein Angebot vor, das ich niemandem sonst auf der Welt vorschlagen würde. Ich bin sicher, dass ich dir eine lebenslange Rente garantieren kann, welche dich auf Dauer vom Handelsgeschäft befreit und in ein Leben als Gelehrter führt. Hörst du? Ich biete dir das Geschenk eines Lebens für die Wissenschaft, ein Leben mit Lesen und Denken. Du darfst sogar verbotene Gedanken denken, während du in der rabbinischen Wissenschaft nach bestätigenden oder widersprüchlichen Hinweisen suchst. Denke über mein Angebot nach: ein Leben in vollkommener Freiheit. Es ist nur an eine einzige Bedingung geknüpft: Schweigen . Du musst zustimmen, dass du alle Gedanken für dich behältst, die unserem Volk Schaden zufügen.«
Baruch
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