Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
dagegen, ihn in Bayreuth zu besuchen und zum Spinoza-Problem zu befragen? Ja, das werde ich tun – und ich werde Hitler bitten, mich zu begleiten. Schließlich sind wir beide seine intellektuellen Erben, oder? Höchstwahrscheinlich wird Chamberlain zu dem Schluss kommen, dass Spinoza kein Jude war. Und er hätte Recht – denn wie konnte Spinoza ein Jude sein? Diese religiöse Indoktrinierung rund um die Uhr, und dennoch lehnte er den jüdischen Gott und das jüdische Volk ab. Spinoza besaß Seelenweisheit – er musste einfach nichtjüdisches Blut in sich tragen.
Doch im Rahmen seiner Ahnenforschung hatte er bislang nur herausgefunden, dass Spinozas Vater, Michael D’Espinoza möglicherweise aus Spanien gekommen war, zuerst nach Portugal und dann im frühen siebzehnten Jahrhundert nach Amsterdam immigrierte. Seine Nachforschungen hatten allerdings auch unerwartete, interessante Ergebnisse erbracht. Erst eine Woche zuvor hatte er entdeckt, dass Königin Isabella im fünfzehnten Jahrhundert Gesetze zur Reinheit des Blutes ( limpiezas de sangre ) erlassen hatte, wonach es konvertierten Juden untersagt war, einflussreiche Positionen in der Regierung und beim Militär zu bekleiden. Sie war eine weise Frau und hatte erkannt, dass die jüdische Bösartigkeit nicht auf religiösem Gedankengut beruhte – sie lag im Blut selbst . Und sie machte ein Gesetz daraus! Hut ab vor Königin Isabella! Nun änderte er seine bisherige Einstellung zu ihr: Er hatte sie immer mit der Entdeckung Amerikas in Verbindung gebracht – jener Jauchengrube rassischer Vermischung.
Amsterdam war Alfred sympathischer als Brüssel, vielleicht wegen der Neutralität der Niederlande im Weltkrieg. Alfred nahm an einer halbtägigen Besichtigungstour für Touristen teil, sonderte sich aber von den anderen ab; mit dem Boot ging es durch die Amsterdamer Kanäle; hin und wieder wurde ein Stopp an interessanten Sehenswürdigkeiten eingelegt. Die letzte Zwischenstation war an der Jodenbreestraat. Dort besuchten sie die Große Sephardische Synagoge, die ebenso scheußlich wie gewaltig war, zweitausend Menschen Platz bot und die jüdische Bastardisierung aufs Übelste präsentierte – ein schlimmes Durcheinander von griechischen Säulen, christlichen Bogenfenstern und maurischen Holzschnitzereien. Alfred stellte sich vor, wie Spinoza vor der zentralen Plattform stand, als ignorante Rabbiner ihn verfluchten und verdammten, und wie er dann beim Hinausgehen angesichts seiner Befreiung wahrscheinlich klammheimlich jubilierte. Doch diese Vorstellung musste er schon ein paar Minuten später verwerfen, als er in seinem Reiseführer las, dass Spinoza niemals einen Fuß in diese Synagoge gesetzt hatte. Sie war 1675 erbaut worden, ungefähr zwanzig Jahre nach Spinozas Exkommunikation, die ihm, wie Alfred wusste, den Zutritt zu allen Synagogen und auch jedes Gespräch mit einem Juden verwehrt hatte.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite gab es eine große Aschkenaser Synagoge, düsterer, gedrungener und weniger prätentiös. Ungefähr eine Straße weiter hatte Spinozas Geburtshaus gestanden. Das Haus selbst war vor langer Zeit abgerissen und durch die wuchtige, katholische Moses-und-Aaron-Kirche ersetzt worden. Alfred konnte es kaum erwarten, Hitler darüber zu berichten. Sie war ein Beispiel dessen, was beide so stark vermuteten – dass das Judentum und das Christentum zwei Seiten derselben Medaille waren. Alfred lächelte, als ihm Hitlers treffender Kommentar einfiel: »Judentum, Katholizismus, Protestantismus – was macht das schon für einen Unterschied? Ist alles derselbe religiöse Schwindel.«
Am folgenden Morgen stieg er in eine Dampftram nach Rijnsburg, wo das Spinoza-Museum lag. Obwohl es nur eine zweistündige Fahrt war, kam sie ihm wegen der harten Holzbänke mit sechs Sitzplätzen viel länger vor. Die dem kleinen Dorf Rijnsburg nächstgelegene Haltestelle war noch immer drei Kilometer von seinem Ziel entfernt, das er schließlich mit einem Pferdefuhrwerk erreichte. Das Museum selbst war ein kleines Backsteingebäude mit der Hausnummer neunundzwanzig und mit zwei Schildern an der Außenwand.
HET SPINOZAHUIS
CHIRURGIJNSWONING UIT 1660; DE WIJSGEER
B. DE SPINOZA VERBLEEF HIER VAN 1660–1663. *
Auf dem zweiten Schild stand:
ACH! WAREN ALLE MENSCHEN
WIJS
EN WILDEN DAARBIJ WEL!
DE AARD WAAR HAAR EEN
PARADIJS,
NU ISSE MEEST EEN HEL.
Wie trivial, dachte Alfred bei sich. Spinoza war von Idioten umgeben. Als er um das Haus herumging, sah Alfred, dass
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