Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
ungeheizten Läden. Die Straße Unter den Linden war menschenleer, aber an jeder Kreuzung von Soldaten bewacht. In Berlin war es gefährlich: Gewalttätige, politische Demonstrationen und Attentate auf Kommunisten und Sozialdemokraten waren an der Tagesordnung.
Am Schluss ihres letzten Treffens vor vier Jahren hatte Friedrich »Krankenhaus Charité, Berlin« auf den Zettel geschrieben, den Alfred zerrissen und weggeworfen hatte, nur um ein paar Minuten später zurückzukehren und die verstreuten Papierfetzen einzusammeln. Alfred trat an einen Wachmann heran und erkundigte sich nach dem Weg zum Krankenhaus. Der Soldat musterte Alfred von Kopf bis Fuß und brummte: »Wo haben Sie Ihr Kreuz gemacht?«
Alfred war verwirrt: »Wie bitte?«
»Wen haben Sie gewählt?«
»Ach so.« Alfred richtete sich zu voller Größe auf. »Ich kann Ihnen sagen, wen ich in Zukunft wählen werde: Adolf Hitler und die komplette antijüdische-antibolschewistische Plattform der NSDAP .«
»Ich kenne keinen Hitler«, antwortete der Soldat, »und von der NSDAP habe ich noch nie gehört. Aber die Plattform gefällt mir. Also, die Charité, warten Sie – die können Sie gar nicht verfehlen –, das ist das größte Krankenhaus in Berlin.« Er deutete auf eine Straße zu seiner Linken. »Die Straße da hinunter, immer geradeaus.«
»Vielen Dank auch. Und merken Sie sich den Namen Hitler. Bald werden Sie nämlich Adolf Hitler wählen.«
Der Pförtner im Empfangsgebäude wusste sofort, wer Friedrich Pfister war. »Ja, natürlich, der Herr Doktor Pfister ist Facharzt für nervöse und seelische Störungen in der Ambulanz. Den Gang rechts hinunter, zur Tür hinaus und geradeaus zum nächsten Gebäude hinüber.«
Im Wartebereich im nächsten Gebäude drängten sich so viele junge und nicht mehr ganz so junge Männer, die noch immer ihre grauen Militärmäntel trugen, dass Alfred eine Viertelstunde brauchte, um sich zum Anmeldeschalter durchzuarbeiten, wo er schließlich die gestresste Sprechstundenhilfe auf sich aufmerksam machen konnte. Er lächelte höflich und rief: »Bitte, bitte, ich bin ein guter Freund von Doktor Pfister. Ich kann Ihnen versichern, dass er mich empfangen wird.«
Sie sah ihm direkt in die Augen. Alfred war ein gutaussehender, junger Mann. »Ihr Name?«
»Alfred Rosenberg.«
»Sobald er aus dem Sprechzimmer kommt, werde ich ihm sagen, dass Sie da sind.« Zwanzig Minuten später schenkte sie Alfred ein freundliches Lächeln und bedeutete ihm, ihr in ein großes Büro zu folgen. Friedrich, der ein Band mit Spiegel um den Kopf und einen weißen Mantel trug, aus dessen Taschen eine Taschenlampe, ein Stift, ein Ophthalmoskop, diverse hölzerne Zungenspatel und ein Stethoskop lugten, erwartete ihn bereits.
»Alfred! Was für eine Überraschung! Und eine angenehme noch dazu. Ich dachte schon, ich würde dich nie mehr wiedersehen. Wie geht es dir? Was hast du seit unserem Treffen in Estland getrieben? Was führt dich nach Berlin? Oder lebst du hier? An meinen dummen Fragen, mit denen ich dich bombardiere, merkst du schon, dass ich ein bisschen angespannt bin und eigentlich gar keine Zeit habe, mir die Antworten anzuhören. Das Wartezimmer ist wie immer gerammelt voll, aber ich bin hier um halb acht fertig – hättest du dann Zeit?«
»So viel du willst. Ich, also, ich bin eigentlich nur auf der Durchreise und wollte einfach mal mein Glück versuchen«, sagte Alfred und rügte sich insgeheim: Warum nennst du ihm nicht den wahren Grund, weshalb du hier bist?
»Gut, gut. Was hältst du davon, wenn wir uns beim Abendessen ein bisschen unterhalten? Ich würde mich freuen.«
»Ich auch.«
»Dann bin ich um halb acht an der Rezeption.«
Den ganzen Nachmittag bummelte Alfred durch die Stadt und verglich die eintönigen, spießigen Straßen Berlins mit den prächtigen Pariser Boulevards. Als es ihm draußen zu kalt wurde, zog er sich in die wärmeren Räume der ungeheizten Museen zurück. Um sieben Uhr stand er wieder im Warteraum des Krankenhauses, der sich inzwischen fast geleert hatte. Friedrich tauchte genau um halb acht Uhr auf und begleitete Alfred in den für die Ärzte reservierten Speisesaal, einen großen, fensterlosen Raum, in dem es nach Sauerkraut roch und wo viele Kellner hin und her flitzten, die die weißbemäntelten Herrschaften bedienten. »Wie du siehst, Alfred, ist es hier wie überall in Deutschland: viele Tische, viel Personal, aber wenig zu essen.«
Das Abendessen im Krankenhaus, ausnahmslos kalte
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