Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
Eins
Schlechtgelaunt und schweißgebadet wachte Montalbano auf: Wegen der anderthalb Kilo sarde a beccafico, die er am Abend zuvor vertilgt hatte, hatte er unruhig geschlafen, und jetzt war das Bettlaken so eng um seinen Körper gewickelt, daß er sich wie eine Mumie vorkam. Er stand auf, ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank und stürzte eine halbe Flasche eiskaltes Wasser hinunter. Während er trank, sah er aus dem weit geöffneten Fenster. Das Licht der Morgendämmerung versprach einen schönen Tag, das Meer war spiegelglatt, der Himmel klar und wolkenlos. Montalbano brauchte sich, wetterfühlig wie er war, um seine Laune in den nächsten Stunden nicht zu sorgen. Es war noch früh; er legte sich wieder hin, zog sich das Laken über den Kopf und richtete sich auf zwei weitere Stunden Schlaf ein.
Wie immer vor dem Einschlafen dachte er an Livia in ihrem Bett in Boccadasse, Genua: An sie zu denken tat ihm gut bei jeder langen oder kurzen Reise in »the country sleep«, wie es in einem Gedicht von Dylan Thomas hieß, das er sehr mochte.
Kaum hatte er die Reise angetreten, als sie auch schon vom Klingeln des Telefons unterbrochen wurde. Wie ein Bohrer schien sich der Ton durch sein Gehirn zu schrauben, bei einem Ohr hinein und beim anderen hinaus.
»Pronto!«
»Wer ist denn da?«
»Sag erst, wer du bist!«
»Catarella.«
»Was ist denn los?«
»Mi scusasse, entschuldigen Sie, aber jetzt hab' ich Ihre Stimme gar nicht erkannt, Dottori. Es hätte ja auch sein können, daß Sie noch schlafen.«
»Das hätte allerdings sein können, um fünf Uhr morgens! Und jetzt sag endlich, was los ist, und nerv mich nicht länger!«
»In Mazàra del Vallo ist einer erschossen worden.«
»Das ist mir scheißegal, ich bin hier in Vigata!«
»Aber der Tote, Dottori…«
Montalbano legte auf und zog den Telefonstecker aus der Wand. Bevor er die Augen schloß, dachte er, daß ihn vielleicht sein Freund Valente, Vicequestore von Mazàra, sprechen wollte. Er würde ihn später vom Büro aus anrufen.
Der Fensterladen schlug krachend gegen die Hausmauer; Montalbano fuhr hoch und setzte sich halb im Bett auf, die Augen vor Schreck weit aufgerissen, weil er in der Dunstglocke des Schlafes, die ihn noch umhüllte, glaubte, jemand hätte auf ihn geschossen. Unversehens war das Wetter umgeschlagen, ein kalter, feuchter Wind ließ die Wellen gelblich schäumen, der Himmel war mit regenschweren Wolken verhangen.
Fluchend stand er auf, ging ins Bad, drehte die Dusche auf und seifte sich ein. Plötzlich versiegte das Wasser. In Vigàta, und damit auch in Marinella, wo er wohnte, gab es ungefähr alle drei Tage Wasser. Ungefähr, denn es war nicht gesagt, daß es nicht schon am nächsten Tag oder erst eine Woche später wieder Wasser gab. Deshalb hatte Montalbano vorgesorgt und auf dem Dach seines Hauses große Tanks installieren lassen, aber diesmal gab es schon seit über acht Tagen kein Wasser mehr, und länger war er nicht autark. Er rannte in die Küche, stellte einen Topf unter den Hahn, um den dünnen Wasserstrahl aufzufangen, am Waschbecken machte er es ebenso. Mit dem bißchen Wasser gelang es ihm einigermaßen, sich den Seifenschaum abzuwaschen, aber seiner Laune bekam das alles überhaupt nicht.
Auf dem Weg nach Vigàta beschimpfte er sämtliche Autofahrer, denen er begegnete und die die Straßenverkehrsordnung offenbar nur dazu benutzten, um sich den Hintern damit abzuwischen; er dachte an Catarellas Anruf und die Erklärung, die er sich zusammengereimt hatte. Sie war nicht haltbar, denn wenn Valente ihn wegen eines Mordes brauchte, der in Mazàra passiert war, dann hätte er ihn um fünf Uhr morgens zu Hause und nicht im Büro angerufen. Seine Erklärung hatte er sich aus Bequemlichkeit zurechtgebastelt, um ohne schlechtes Gewissen noch zwei Stunden ungestört schlafen zu können.
»Es ist überhaupt niemand da!« teilte Catarella dem Commissario sofort mit, als er ihn sah, und erhob sich respektvoll von seinem Stuhl in der Telefonvermittlung. Montalbano und sein Kollege Fazio hatten ihn dahin verbannt, denn dort richtete er, selbst wenn er merkwürdige und wenig glaubhafte Anrufe meldete, bestimmt weniger Schaden an als an jeder anderen Stelle. »Aber heute ist doch kein Feiertag!«
» Nonsi, Dottori, kein Feiertag, aber sie sind alle am Hafen wegen der Geschichte mit dem Toten aus Mazàra, wegen dem ich Sie angerufen hab', heut ganz früh, wissen Sie noch?«
»Aber wenn der Tote in Mazàra ist, was wollen sie
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