Das Steinbett
überfahren hat?«
Es dauerte ein wenig, bis Mortensen antwortete. Er ließ den Blick über seinen Garten schweifen, so als läge die Antwort zwischen blühenden Büschen, über dem Flattern der weißen Schmetterlinge und in der unablässigen Futtersuche der Vögel. Lindell beobachtete, wie sich sein Gesichtsausdruck während seiner Überlegungen veränderte.
»Ich glaube leider, daß etwas Fürchterliches Besitz von Sven-Erik ergriffen hat«, antwortete er schließlich.
Lindell spürte über den kleinen Gartentisch hinweg seinen Atem. Sie griff nach ihrer Kaffeetasse und lehnte sich zurück, trank einen Schluck und setzte die Tasse ebenso sorgsam wieder ab, wie er dies zuvor getan hatte.
»Etwas Fürchterliches?«
Mortensen nickte.
»In letzter Zeit war er verwirrt. Ein paar andere und ich haben versucht, ihn darauf anzusprechen. Vor ein paar Tagen habe ich sogar Josefin angerufen, um mit ihr darüber zu reden.«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie hat sofort verstanden, was ich meine, aber sie war ein unglaublich loyaler Mensch.«
»Dann hat sie also nichts erwähnt, was seine Verwirrung erklären könnte?«
»Nein, sie meinte, es läge vielleicht an Sven-Eriks Arbeitsbelastung, aber er hat immer viel gearbeitet.«
»Hat er eine Geliebte?«
Mortensen ließ sich gegen die Rückenlehne fallen. Wieder wurde es still. Denkt er jetzt nach oder spielt er Theater, fragte sich Lindell, drängte ihn jedoch nicht zu einer schnellen Antwort.
»Das weiß ich nicht, vielleicht, aber warum sollte er einen Menschen wie Josefin verlassen? Sie war eine phantastische Frau. Sie war schön, klug und eine wunderbare Mutter. Sie tat alles für ihre Familie, sie …«
Er verstummte und schaute Lindell traurig an. Lindell glaubte zu sehen, daß er feuchte Augen bekommen hatte.
»Ich habe viel darüber gegrübelt«, fuhr er mit abgewandtem Kopf fort. »Warum sind die beiden totgefahren worden? Was ist nur los in dieser Welt? Nichts ist mehr sicher. Wir haben so lange zusammengearbeitet, um das Leiden anderer Menschen zu lindern, um nach Heilungsmöglichkeiten für einige der qualvollsten Krankheiten zu suchen, an denen ein Mensch erkranken kann, daß es mir unfaßbar erscheint, daß ausgerechnet er sich einer solchen Tat schuldig gemacht haben könnte.«
Sein bislang ironischer und weltgewandter Ton war einer fragenden und bemerkenswert schwachen Stimme gewichen. Sein Gesicht hatte sich in gleicher Weise verändert. Die Furchen in der braungebrannten Stirn wurden tiefer, und er sah sich ratlos um.
Lindell beobachtete ihn. Rede weiter, dachte sie, aber allein das Zwitschern der Vögel war zu hören. Die Sonne war im Laufe ihres Gesprächs gewandert und lugte nun hinter dem Giebel des Hauses hervor. Lindell schob ihre Haare aus dem Gesicht und genoß für einen Moment die Wärme.
»Könnte Josefin einen anderen Mann gehabt haben?«
Mortensen zuckte zusammen.
»Niemals«, entgegnete er mit Nachdruck. »Sie war ihm treu.«
»Wie können Sie da so sicher sein?«
»Ich bin mir sicher«, erwiderte er bloß. Lindell spürte, daß sich ihr Gespräch dem Ende zuneigte, stellte aber noch einige Fragen zu Sven-Erik Cederéns Lebensgewohnheiten. Sie mußte sich ein besseres Bild von dem Verschwundenen machen, um ihn aufspüren zu können.
Mortensen erzählte von den Urlauben der Familie und ein wenig von der Arbeit bei MedForsk, doch nach der Frage, ob er gewußt habe, daß Josefin schwanger war, kapselte er sich mehr und mehr ab. Er bestritt, von ihrer Schwangerschaft gewußt zu haben; Lindell glaubte ihm nicht. Sie wußte zwar nicht warum, aber etwas in seiner Reaktion verriet ihr, daß Mortensen mehr über die Verhältnisse in Cederéns Familie wußte, als er zugeben wollte.
»Erzählen Sie mir von Spanien«, forderte sie ihn abschließend auf.
Seine Antwort bestand aus einem wortreichen Vortrag über das Tochterunternehmen. In Malaga wurde ein Großteil der praktischen Entwicklungsarbeit geleistet. Etwa fünfzig Angestellte waren in zwei Anlagen tätig, und die Zahl der Beschäftigten nahm laufend zu.
Sie beendeten das Gespräch wie auf ein vereinbartes Zeichen hin. Mortensen stand auf, begann das Geschirr abzuräumen, bürstete die Krümel vom Tisch und schraubte den Deckel auf das Marmeladenglas.
Lindell schlug ihren Notizblock zu, in dem sie nur wenige Worte notiert hatte. Sie hatte noch den Geschmack von Kornelkirschen im Mund.
»Ich würde Ihnen gerne einige meiner Stoffe zeigen«, sagte er, »aber dazu reicht heute
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