Das Steinbett
knotete die stinkende Plastiktüte im Papierkorb zu, nahm ihre Jacke und ließ den Blick über das Büro schweifen, als würde sie es für immer verlassen.
Laue Abendluft wehte ihr entgegen. Lindell blieb am Wagen stehen. Sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sie fahren konnte.
»Idiot«, sagte sie laut zu sich selbst und schloß den Wagen auf, »jetzt reiß dich aber zusammen.«
Sie rief Sammy Nilsson vom Wagen aus an und berichtete ihm von dem Telefonat. Er wiederum erzählte, daß Frisk eine Handvoll Namen als Kern der Tierschützerszene vorgelegt hatte. Sie verabredeten, sich am nächsten Morgen schon früh zu treffen. Lindell wußte, daß Sammy Nilsson den weiteren Abend damit verbringen würde, den Namen auf der Liste etwas mehr Substanz zu geben. Wer waren sie? Adressen, Jobs, waren sie in der Ausbildung, waren sie bei der Polizei schon einmal aktenkundig geworden, all die Fragen, auf die man Antworten finden konnte, wenn man Zugang zu Datenbanken hatte, würde er bearbeiten.
Ann Lindell hatte nur einen Gedanken, als sie nach Hause fuhr und den Wagen parkte: sich ein Glas Wein einzuschenken, auf der Couch zu liegen und in Ruhe zu überlegen. Die Frau, die sie für Cederéns Geliebte hielt, hatte nervös geklungen, so als könne sie nur mühsam die Fassung bewahren. Sie wußte mehr, und Lindell ahnte, daß sie wieder anrufen würde. Offensichtlich war sie von Sven-Erik Cederéns Unschuld überzeugt und mochte deshalb ihre Informationen nicht für sich behalten. Sie würde alles tun, um Lindell von ihrer Version zu überzeugen.
Aber was machte die Frau so sicher? Lindell vermutete, daß es die Liebe war. Man brauchte etwas Zeit, um sich einzugestehen, daß der Geliebte ein Mörder und Selbstmörder war.
Der Wein schmeckte ihr nicht. Campo Viejo hieß die Sorte, die sie fast immer trank. Im staatlichen Alkoholgeschäft auf der Skolgatan kannte man sie schon. Es würde noch so weit kommen, daß die Verkäuferin zwei, drei Flaschen auf die Theke stellte, sobald Lindell das Geschäft betrat. In letzter Zeit war sie deshalb immer zum Alkoholgeschäft im Obs-Warenhaus gefahren. Dort war Selbstbedienung, und sie konnte anonym bleiben.
Möchte ich ein Kind haben? Sie hatte sich die Frage schon des öfteren gestellt und in den letzten Jahren immer mit ja beantwortet. Sie hatte ein Kind mit Rolf gewollt, dem Mann, mit dem sie zusammen gewesen war, bevor sie Edvard kennenlernte. Sie wollte ein Kind mit Edvard haben, auch wenn sie Zweifel hatte. Sie war Mitte Dreißig und wußte, daß es bald zu spät sein würde.
Warum ihr ein Kind so wichtig erschien, wußte sie nicht so genau. Als sie auf der Couch lag und ins Leere starrte, überdachte sie ihre Beweggründe. Sie rechnete aus, wann es geboren würde – Februar. Sie selber war ein Märzenkind. Sie mußte an ihre Eltern in Ödeshög denken und an ihr geduldiges Warten auf einen Enkel. Was würden sie dazu sagen? Ein Kind ohne Vater.
Sie streckte sich nach dem Weinglas, stützte sich auf den Ellbogen und trank einen Schluck. Sie sollte nichts trinken. Sie sank auf das Kissen zurück, deckte sich besser zu und bemitleidete sich selbst. Zehn Minuten später schlief sie. Ihr letzter Gedanke war, daß es besser gewesen wäre, sie hätte Haver angerufen und ihm von dem Gespräch mit der Frau erzählt. In gewisser Weise war das sein Revier.
16
Gabriella Mark war an der Tür zum Erdkeller stehengeblieben. Wie Lots Frau schien sie zu einer Salzsäule erstarrt zu sein. Sie hatte für eine Sekunde zurückgeblickt; und das reichte schon aus. Sie hatte ihn gesehen, genau an dieser Stelle, die Hand auf die steinerne Mauer des Kellers gelegt. Das Labkraut, in das sie nie einen Fuß setzte, weil sie einen schmalen Pfad zu der massiven Holztür ausgetreten hatte, stand damals in voller Blüte. »Meine Jungfrau«, hatte er gesagt, »meine schöne Blume«, und sie dabei mit liebevollen Augen angesehen.
Er liebte sie, warum das so war, hatte sie nie verstanden. Im Vergleich zu seiner Frau war sie nicht besonders attraktiv. In ihrem Garten kam sie noch am besten zur Geltung. Ihr Körper war schmächtig; aber sie hatte breite Hüften, die wie geschaffen dafür waren, Kisten mit Saatgut auf sie zu stützen, und muskulöse Beine und Schultern, die sich zum Graben, Auflockern und Hocken in Gemüsebeeten eigneten. Ihre Unterarme waren so schmal, daß er sie mühelos mit seinen Händen umfassen konnte.
Nach dem Unfall, der ihren Mann das Leben gekostet hatte, war sie
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