Das Steinbett
war kein Tagebuch im eigentlichen Sinne, es enthielt eher verstreute Bemerkungen. Einige handelten von der Aussaat des Gemüses, andere vom Wetter, der Name Sven-Erik tauchte mehrfach auf. »Sven-Erik kommt heute« am 20. Mai, »Sven-Erik in Spanien« am 14. Februar.
»Okay«, sagte Lindell, »du gehst den Kalender durch und erstellst eine Liste aller persönlichen Notizen, die wichtig sein könnten. Überspring das Wetter und das Gemüse, notier dir alle Namen und wie häufig sie vorkommen.«
»Pålle«, sagte Haver in den Raum hinein, als wolle er damit das Bild von Gabriella Marks Bekanntem heraufbeschwören.
Lindell blätterte weiter. Am 28. Mai hatte Gabriella Mark etwas geschrieben, das sie verblüffte: »Dem Kalb scheint es immer schlechter zu gehen. Das arme kleine Ding.« Sie zeigte Haver die Notiz.
»Was denn für ein Kalb?« fragte er. »Hat sie Kühe gehalten?«
»Das ist wohl eher unwahrscheinlich«, erwiderte Lindell.
»Aber vielleicht gibt es in der Nachbarschaft einen Hof.«
Lindell war etwas zufriedener, als sie sich zum zweiten Mal in den Wagen setzte. Gabriella Mark hatte eine Stimme bekommen, auch wenn es sich nur um ein paar belanglose Worte in einem Kalender handelte. Wer war dieser Pålle? War Pålle vielleicht der Mörder?
Es klingt nach einem Pferd, dachte Lindell und hatte einen Ardenner vor Augen.
21
Es erwies sich als einfache, jedoch frustrierende Arbeit, sich einen Überblick über Gabriella Marks Leben und ihren Bekanntenkreis zu verschaffen. Sie war eine sehr einsame Frau gewesen. Zu diesem Schluß kam Lindell, als sie den Bericht las, den Beatrice ihr hatte zukommen lassen.
Geboren wurde sie in einem kleinen Dorf bei Simrishamn, wo der Vater Zahnarzt gewesen war und die Mutter Zahnarzthelferin in der gleichen Praxis. Beide waren vor gut fünf Jahren gestorben. Ihre Mutter hatte Krebs, ihr Vater war vor der Küste Sri Lankas ertrunken. Die Kollegen in Simrishamn hatten eine halbe DIN-A4-Seite mit Informationen gefüllt.
Ihre nächsten Verwandten waren zwei Cousinen und ein Cousin, eine wohnte in Ystad, die andere in Tomelilla und der Cousin in Malmö. Die beiden Cousinen hatten im Grunde keinen Kontakt zu Gabriella Mark. Der Cousin aus Malmö war der einzige, der über die Jahre hinweg Verbindung zu ihr gehalten hatte. Dieser Malmöer Cousin war natürlich nicht zu erreichen. Die Kollegen in Malmö hatten seine Wohnung aufgesucht, aber es öffnete ihnen niemand. Eine Nachbann wußte zu berichten, daß er seit einer Woche im Urlaub war und erst in vierzehn Tagen wiederkommen würde. Er war zum Wandern in den Dolomiten.
Zum letzten Mal hatten sich alle vier vor drei Jahren gesehen. Damals ging es darum, das Erbe ihrer Großeltern aufzuteilen. Gabriella Mark war nach Simrishamn gereist und hatte eine Reihe von Schmuckgegenständen abgeholt.
Gabriella war schon immer etwas eigen gewesen, wie eine der Cousinen sich ausdrückte, nicht unfreundlich, aber reserviert. Sie hatte mit ihnen nicht über Sven-Erik Cederén gesprochen.
Die Firma, in der Gabriella Mark zuletzt gearbeitet hatte, existierte zwar nicht mehr, Beatrice war es aber gelungen, den früheren Firmenchef in Holland aufzutreiben, wo er im Immobiliengeschäft tätig war. Er klang aufrichtig bestürzt, als er am Telefon erfuhr, Gabriella sei tot. »Sie war so ein feiner Mensch«, hatte er zu Beatrice gesagt.
Lindell fand es tröstlich, daß in diesem Fall zur Abwechslung einmal jemand ein gutes Wort für einen anderen Menschen fand.
»Außerdem war sie eine sehr gute Projektleiterin«, teilte ihr früherer Arbeitgeber mit. »Sie hatte Ideen und setzte sie auch um, und das ist mehr, als man von den meisten anderen sagen kann. Sie war schwer zu bremsen, hartnäckig und zielstrebig.«
»Warum hat sie gekündigt?« hatte Beatrice ihn gefragt.
»Sie hat nicht gekündigt. Sie ist krankgeschrieben worden nach dem Autounfall, bei dem ihr Mann ums Leben gekommen ist. Sie hat sich von diesem Schlag nie wieder richtig erholt.«
Der Mann war verstummt, und Beatrice hatte schon geglaubt, die Leitung sei unterbrochen worden, als er mit einer Bemerkung fortfuhr: »Gabriella wollte immer gerecht sein. Sie haßte Ungerechtigkeit, egal ob es darum ging, wer mit dem Kaffeekochen an der Reihe war, oder um etwas, was sie am Morgen in der Zeitung gelesen hatte, über Menschen, die schlecht behandelt wurden. Ich glaube, das hatte sie von ihrem Vater, der war eine Art Weltverbesserer und soll sehr wahrheitsliebend gewesen sein. Sie
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