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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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    Es sei denn, ich irre mich. Es sei denn, sie kommt in zwei, drei Monaten zu mir und sagt, daß sie mit mir schlafen will. Lieber mit mir als mit einem jüngeren Mann, weil ich alt und meinerseits weit davon entfernt bin, vollkommen zu sein. Mit mir, weil ich zwar noch lange nicht vertrocknet bin, der Verfall meines Körpers aber nicht mehr so unmerklich ist wie bei den Männern in dem Fitneß-Studio, in dem ich trainiere, den Männern, die es geschafft haben, nicht geboren zu werden, bevor Roosevelt Präsident wurde.
    Und werde ich dann dazu imstande sein? In meinem ganzen Leben habe ich mit keiner Frau geschlafen, die auf diese Weise verstümmelt worden ist. Vor einigen Jahren kannte ich mal eine Frau, die auf dem Weg zu meiner Wohnung sagte: »Ich muß dir etwas sagen: Ich hatte eine Operation, und seitdem habe ich nur noch eine Brust. Nur damit du nicht erschrickst.« Nun, ganz gleich, für wie unerschrocken man sich hält - die Vorstellung, eine Frau mit nur einer Brust zu sehen, ist, wenn man ehrlich ist, nicht sehr verheißungsvoll, oder? Es gelang mir, ein wenig überrascht zu wirken, allerdings scheinbar nicht wegen der amputierten Brust, und ich glaube, daß ich keine Nervosität zeigte, als ich versuchte sie zu beruhigen. »Ach, sei nicht albern - wir werden doch nicht miteinander ins Bett gehen. Wir sind bloß gute Freunde, und ich finde, das sollten wir auch bleiben.«
    Ich habe einmal mit einer Frau geschlafen, die einen dunkelbraunen Weinfleck hatte, und zwar zwischen und teilweise auf ihren Brüsten, ein riesiges Muttermal. Sie war außerdem eine große Frau - über eins neunzig. Die einzige Frau, bei der ich mich auf die Zehenspitzen stellen und den Kopf recken mußte, um sie zu küssen. Ich bekam einen steifen Hals davon. Als wir ins Bett gingen, zog sie zuerst ihren Rock und den Slip aus, was für eine Frau eher ungewöhnlich ist. Normalerweise fangen Frauen beim Oberkörper an und legen als erstes die Bluse ab. Sie dagegen behielt Pullover und BH an. Ich sagte: »Willst du nicht deinen Pullover und den BH ausziehen?« »Doch, aber ich will nicht, daß du erschrickst«, sagte sie. »Mit mir ist etwas nicht in Ordnung.« Ich lächelte und versuchte, das herunterzuspielen. »Was ist es denn, was stimmt mit dir nicht?« Sie sagte: »Na ja, da ist was mit meinem Busen, das dich erschrecken wird.« »Ach, mach dir darüber keine Gedanken. Zeig's mir einfach.« Das tat sie. Und dann übertrieb ich es. Ich küßte das Muttermal. Ich streichelte es. Ich spielte damit. Ich war höflich. Ich versuchte, sie mit dem Fleck zu versöhnen. Ich sagte, er gefallemir sehr. Es ist nicht leicht, so etwas ungezwungen zu tun. Aber man muß imstande sein, die Sache in die Hand zu nehmen, ruhig zu bleiben und mit Anstand damit umzugehen. Nicht zurückzuzucken vor etwas, mit dem ein anderer leben muß. Dieser Weinfleck. Für sie war er tragisch. Über eins neunzig. Männer fühlten sich, wie ich, wegen ihrer erstaunlichen Größe zu ihr hingezogen. Und bei jedem Mann dasselbe: »Mit mir ist etwas nicht in Ordnung.«
Die Fotos.
    Ich werde nie vergessen, wie Consuela mich bat, diese Fotos zu machen. Irgendein Spanner vor dem Fenster hätte es wohl nur für eine Pornoszene halten können. Und dennoch war es von Pornographie so weit entfernt, wie es nur sein konnte. »Hast du noch deine Kamera?« »Ja, die habe ich noch«, sagte ich. »Würde es dir was ausmachen, mich zu fotografieren? Ich will Fotos von meinem Körper haben, auf denen er so aussieht, wie du ihn gekannt hast. Wie du ihn gesehen hast. Denn bald wird er nicht mehr so sein, wie er war. Ich kenne niemanden, den ich darum bitten könnte. Einen anderen Mann könnte ich nicht fragen. Sonst würde ich dich nicht damit belästigen.« »Ja«, sagte ich, »das werden wir tun. Alles, was du willst. Sag nur, was du willst. Bitte mich, um was du willst. Sag mir alles.« »Könntest du Musik auflegen«, sagte sie, »und deine Kamera holen?« »Was für Musik möchtest du?« »Schubert. Irgendeine Kammermusik von Schubert.« »Gut«, sagte ich und dachte: Nur nicht Der Tod und das Mädchen.
    Und doch hat sie mich bis jetzt nicht darum gebeten, ihr Abzüge zu schicken. Sie dürfen nicht vergessen, daß Consuela keine brillante Analytikerin ist. Dann wäre das mit den Fotos nämlich etwas ganz anderes. Dann wären sie Teil einer Taktik. Dann würde man sich Gedanken machen über ihre Strategie. Doch bei Consuela ist in allem, was sie tut, eine

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