Das Sternenprogramm
würden sie ihn einäschern.
Den Inhalt seiner Taschen ließen sie zurück: ein
paar Karten, ein Messer, ein Handy; und den Helm, die Brille und
das Gewehr, sein Handwerkszeug. Van verharrte in der Tür und
ließ den Blick vom Gewehr zu ihr und wieder zurück
schweifen.
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Ich würde es
nicht tun«, sagte sie. Vielleicht entging ihm die
Doppeldeutigkeit, jedenfalls ging Van hinaus. Janis hörte
vorbeirasende Trucks und einen startenden Helikopter. In Nairn,
der Provinzhauptstadt der Republik, gab es eine gute
Forschungseinrichtung: dort würde man ihn hinbringen.
Vielleicht würde sie irgendwann dorthin fahren, um
herauszufinden, ob die Drogen ihn umgebracht hatten. Oder der
Mangel an Drogen.
MacLennans Worte fielen ihr ein. Sie war keine gute
Beschützerin gewesen, keine gute Soldatin.
Auch keine gute Wissenschaftlerin.
Die Erinnerungen, die ihr auf dem Hügel nicht
zugänglich gewesen waren, stürzten nun wieder auf sie
ein, klar und bitter. Sie erinnerte sich an den Krieg. An die
europäische Einigung, als Deutschland den verzweifelten
Versuch unternommen hatte, den Kontinent unter dem
Sternkreisbanner zu einen, die von den ständigen
Einmischungen der US/UN genährten Konflikte zu ersticken und
ein Gegengewicht zur Neuen Weltordnung zu schaffen.
Sie war ein kleines Mädchen gewesen und hatte nicht
begriffen, was da vor sich ging. In der stickigen Wärme der
U-Bahnstation bekam sie Atemnot und brach in Tränen aus.
Ihre Mutter schrie sie an, weil sie über das auf dem
Bahnsteig ausgebreitete Bettzeug gelaufen war. Auf den drei Meter
hohen Monitoren, die der Krümmung der Tunnelwölbung
folgten, konnte man den Fortgang des Krieges verfolgen.
Sie standen nicht im Krieg: sie waren neutral; dennoch waren
auch britische Soldaten an den Kämpfen beteiligt. Auf
einigen Kanälen klang es ganz so, als stünde Britannien
ebenfalls im Krieg. Das war verwirrend und erschreckend, zumal
einige Leute jubelten, wenn britische Soldaten zu sehen waren,
und schimpften, wenn fremde Soldaten gezeigt wurden.
Ihre Mutter versuchte, es ihr zu erklären. »Die
Soldaten des Königs sind am Krieg beteiligt, nicht wir. Aber
die königliche Regierung hat einen Sitz in den Vereinten
Nationen…«
Sie stockte, unsicher, ob Janis sie auch verstand. Das
Mädchen nickte entschieden. »In dieser Versammlung von
Dieben und Sklaven«, sagte Janis.
»Genau. Und sie kämpfen aufseiten der UN gegen die
Deutschen, das heißt, eigentlich aufseiten der Amerikaner,
und das bedeutet, wenn der Krieg vorbei ist, werden die
Amerikaner dem König und seinen Soldaten die Rückkehr
ermöglichen, damit sie wieder über uns herrschen
können, oder aber die Deutschen greifen uns noch vor
Kriegsende an, und dann werden wir ebenfalls besiegt.«
Sie hatte in einem der Seitengänge gespielt, als sie
Geschrei vernommen hatte und zum Bahnsteig zurückgeeilt war,
um einen Blick auf die Monitore zu werfen. Der Krieg war vorbei.
Sie blieb nicht stehen, um nach ihren Eltern zu schauen; sie sah
nicht, wie sie sich durchs Gewühl drängten, hörte
nicht, wie sie nach ihr riefen, sondern rannte die stillstehenden
Rolltreppen hoch.
Sie hatte bloß gewusst, dass der Krieg vorbei war; von
dem, was nun begann, hatte sie keine Ahnung. Sie hatte nicht
gewusst, dass Israel seiner alten Schutzmacht einen letzten
Gefallen getan und Berlin und Frankfurt niedergebrannt hatte. Sie
wusste nicht, dass die US-Regierung dies zum Vorwand nehmen
würde, sich zum Schiedsrichter des Planeten aufzuschwingen.
Weder ihre Eltern noch der Politikunterricht in der Schule hatten
sie auf die folgenden sechs Tage vorbereiten können: auf die
unangefochten den Luftraum beherrschenden Bomber, auf die
plündernden und mordenden, kaum des Lesens und Schreibens
kundigen Wehrdienstpflichtigen der US/UN und deren barbarische
Hilfstruppen, auf die Teletrooper, die durch Wände brachen
und die Verteidiger mit stählernen Fäusten
zerquetschten, an die demoralisierten Menschen, die in
Sprechchören Frieden, Kapitulation und Restauration
forderten, sich gegen das radikale Regime wandten, dem sie die
Schuld an ihrem Leiden gaben, und sich der Hexenjagd, den
Aushebungen und Lynchmorden anschlossen.
Sie wusste nicht, dass der Wind von Osten her wehte und dass
der Regen, der ihren Schweiß und Gestank abwusch,
Spaltprodukte der Vernichtung von Kiew und Baku mit sich
führte. Bis ihre Mutter sie wieder in den
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