Das Sternenprogramm
Schutzraum
zurückzerrte, feierte sie den Frieden.
Jordan und Cat schritten Hand in Hand inmitten der
Menschenmenge über die Blackstock Road. Sie waren nicht die
Einzigen, die bewaffnet waren, und auch in anderer Hinsicht
fielen sie nicht auf. Sie konnten davon ausgehen, dass keiner
dieser Leute Jordan je im Kabelfernsehen gesehen hatte. Das hier
waren Einwohner von Beulah City: eine ganz andere
Bevölkerungsgruppe als die Menschen, die über die
Nordgrenze gekommen waren. Das waren Maschinenwärter,
Servierer und Serviererinnen, Hausangestellte,
Fahrzeugmechaniker, Fahrer, Lagerhausarbeiter, Ladenbesitzer,
Straßenkehrer, Pförtner, Krankenschwestern… Bis
jetzt hatte Jordan gar nicht gewusst, wie groß die
unsichtbare Armee derer war, deren Arbeit zu billig oder zu
kompliziert war, um sie zu automatisieren, die jene Arbeit, mit
der er vertraut war, aber erst ermöglichten.
»Deshalb waren die Büros leer«, sagte Cat.
»Die haben gestreikt!«
Wahrscheinlich waren sie alle Christen. Sie führten
handbeschriftete Schilder mit Bibelzitaten mit sich, in denen von
Unterdrückung und Freiheit, Arm und Reich, den Schwachen und
den Mächtigen die Rede war und die von den Predigern in BC
zumeist beschönigt wurden. Sie sangen Hymnen und Psalmen,
die in der Kirche selten zu hören waren.
»Zerschlagt die Köpfe der Kinder von
Babylon«, paraphrasierte Cat schadenfroh, bis Jordan sie
leicht anstupste.
Die Vorstellung, dass Tausende Menschen in Beulah City
glaubten, sie würden von den Ältesten bevormundet und
durch die Herr-und-Diener-Bestimmungen am Arbeitsplatz betrogen,
während sie sich mit Schuldgefühlen quälten, an
der ihnen aufoktroyierten Deutung der Heiligen Schrift zweifelten
(als wenn diese Deutung etwas anderes gewesen wäre als eine
von Menschen vertretene Meinung) und sich darüber
ärgerten, dass Gott stets aufseiten der Mächtigen
stand… diese Vorstellung fand Jordan in höchstem
Maße erregend.
Und auch beschämend, denn ihm war dieser Gedanke niemals
gekommen.
»Ein seltsames Gefühl, so zu marschieren«,
meinte Cat. Jordan lächelte ihr ins strahlende Gesicht.
»Ich dachte, du hättest schon an vielen Demos
teilgenommen.«
»Ja, schon, aber zu Anfang habe ich die Zeitungen
verkauft, später bin ich hin und her gerannt, bin mit einem
Megaphon rückwärts gelaufen und hab das Gewehr in die
Nebenstraßen gehalten, um Deckung zu geben.« Sie
lachte. »Eigentlich war ich nie einfach bloß Teil der
Masse.«
»Vielleicht sollten wir nicht einfach so
mitmarschieren«, überlegte Jordan laut.
»Vielleicht sollten wir genau das tun, was du früher
immer getan hast.«
Cat zischte leise. Als er sie ansah, huschte ihr Blick hin und
her. Er schaute sich ebenfalls aus den Augenwinkeln um und
bemerkte, dass der Demonstrationszug im Abstand von etwa zehn
Metern von scharfäugigen Jugendlichen mit harten Gesichtern
begleitet wurde. Sie wechselten ständig das Tempo, gingen
mal schneller, mal langsamer als die Menge, liefen hin und wieder
auch rückwärts und verrenkten sich den Hals; sie
zählten Köpfe, suchten Blicke. Die Roten, die
Jugendlichen, die Kader.
»Die Demo ist organisiert?«, sagte er.
Ringsumher war der Horizont durch lose schwarze Fäden mit
dem Himmel verbunden. Alle paar Sekunden ertönte in der
Ferne eine Detonation. Leises Gewehrfeuer war zu vernehmen.
»Wessen Idee war das eigentlich, in ein Kriegsgebiet zu
marschieren?«
»Es wird schon klappen«, entgegnete Cat.
»Die Kämpfe haben sich konzentriert.«
»Für den Moment.«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Cat. Ihr Tonfall
strafte ihre Worte Lügen.
Vorbei an den Highbury Fields, die Upper Street entlang. Als
sie an dem großen, alten, mit Säulen ausgestatteten
Gebäude vorbeikamen, das die Ältesten zu
Verwaltungszwecken nutzten, verstummten die Gesänge, und die
Menschen begannen zu rufen. Die vereinzelten Rufe wurden von den
Jugendlichen, den Kadern, übertönt.
»Was wollen wir? DEMOKRATIE! Wann stellen wir sie wieder
her? JETZT!«
Die Parolen wechselten sich mit den Slogans FREIHEIT! und
GLEICHE RECHTE! ab. Nach einer Weile wurden die Parolen
aufgenommen, was einige der Kader in die Lage versetzte, mit den
Demonstranten diskutieren zu können, die sich
vordrängten und die Treppe stürmen wollten. Jordan sah,
wie sie auf Eingänge und Balkone deuteten, dann bemerkte er
zu seinem Entsetzen die schwarzen Mündungen, welche auf die
Straße
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