Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
Vom Netzwerk:
versetzt hätte, endlich einmal gegen die AI
vorzugehen… Doch in seinen veränderten Knochen
spürte er, dass das aussichtslos war, dass sie dies selbst
dann, wenn es ihm gelänge, zu einer höheren
Kommandoebene vorzudringen, als Bestätigung dafür
nehmen würden, dass der Notfall tatsächlich eingetreten
war.
    Sie waren zum Untergang verurteilt.
    Donovans Triumphschrei veranlasste ihn aufzuspringen. Der alte
Mann rannte von Terminal zu Terminal, vollführte
komplizierte Bewegungen mit den Armen, kämpfte mit
virtuellen Gestalten. Zwischendurch brüllte er
Bleibtreu-Fèvre zu: »Sie hat ihre Meinung
geändert! Die Gegenviren sind verschwunden!«
    Bleibtreu-Fèvre machte Donovan Platz und schaute zu,
wie er langsamer wurde, nach und nach herunterschaltete,
schließlich stehen blieb und den Blick über die
Monitore schweifen ließ.
    »Sie sind frei«, sagte er. »Die allerbesten,
auf die Meme des Uhrmachers abgestimmt.« Er lächelte
Bleibtreu-Fèvre an, und in diesem Moment wirkte er nicht
alt, verrückt oder böse – ganz im Gegenteil: er
wirkte stolz und froh, ein guter Magier, der viele einfache
Menschen vor einer Bedrohung bewahrt hatte, die sie sich nicht
einmal vorstellen konnten.
    »Wir haben es geschafft!«, sagte er. »Jetzt
gibt es keinen Grund mehr, die Datensphäre zu
zerstören. Es wird kein Massensterben geben.«
     
    Milliarden starben.
    Milliarden Lebewesen, bewusste Wesenheiten, mit subtileren und
ausgeprägteren Gefühlen, mit größeren
Freuden und tieferen Schmerzen, als der Mensch sich vorzustellen
vermochte.
    Sie starben: sie platzten wie Zellen in starker
Salzlösung, explodierten von innen heraus wie ein Haus unter
Überdruck, barsten wie ein von einer Kugel getroffener
Schädel, verdampften wie ein Satellit im Partikelstrom,
verflüchtigten sich wie Fleisch in einer Feuersbrunst.
    Moh hatte sie alle gesehen, die klassischen Zeitlupen, die
Momentaufnahmen, die Standbilder, die Augenblicksarchäologie
des modernen plötzlichen Todes. Vor der Konfrontation mit
dem selbstverantworteten Tod war er nie zurückgeschreckt.
Diese Erfahrung – Bilder und Wirklichkeit stellten
mittlerweile untrennbare Erinnerungen dar – vermittelte ihm
die Symbole für das, was er sah, hörte und fühlte,
ein erstickender Qualm, der aus dem Boden quoll, aus der Luft,
jeder einzelne Rauchpartikel eine wütende
Vernichtungsmaschine, welche eine strahlende künstliche
Intelligenz verschlang, worauf sie kehrtmachte und sich
unersättlich auf das nächste Opfer stürzte.
Gedanke von seinen Gedanken, Geist von seinem Geist, mit ihm den
Fluchtpunkt des sich in ihm spiegelnden wissenden Geistes
teilend: der Bruchteil dessen, was er von ihrer Qual mitbekam,
war unerträglicher Schmerz, nicht zu tröstender
Verlust.
    Der schwarze Qualm umschloss die Welt und verschwand: als sich
die Sicht wieder klärte, war die Welt unverändert,
abgesehen davon, dass ihre jüngste Lebensform
ausgelöscht war. Moh starrte den verwüsteten Planeten
lange Zeit an und sah, dass sich der Qualm gar nicht
aufgelöst hatte: er hatte sich zu einem Punkt verdichtet, zu
einem schwarzen Loch in der Datensphäre, zur Pupille eines
Auges, hinter dem ein einziger Gedanke stand. Der Punkt schaute
ihn an. Er sah die Signatur der Software, die in seinem
Systemfenster lief, und dehnte sich aus. Das flackernde
tödliche Morsefeuer bekam Antwort von der Software, die Teil
seines Denkens war.
    Weißglühende Nadeln drangen durch seine Augen in
den Kopf, ins Gehirn: eine neue Umgebung für die
Informationsviren, die sich darin replizierten, Knoten komplexer
Logik bildeten, in denen er sich verhedderte, klirrende
Mechanismen, die ihm von einem Gedanken zum nächsten
folgten, über Gedächtniskorridore und durch vergessene
Räume früherer Zeiten.
     
    Er vernahm das Klappern eines Keyboards, wandte sich um und
sah Josh am CAL-System arbeiten. Er machte Anstalten, ihn zu
warnen.
    Mit lautem Klirren stieß ein stählerner Arm aus dem
Monitor hervor. Servomechanische Klauen packten den Kopf seines
Vaters. Der Rest des Metallmonsters folgte dem Arm aus dem
geborstenen Bildschirm ins Freie, richtete sich auf dem Tisch auf
und hob seinen Vater hoch. Plastikfetzen, Glassplitter und Kabel
rutschten von seinem Kopf; Blut tropfte von Josh Kohns
Schädel. Die Hand öffnete sich, und der Körper
fiel herab. Die Kopfsensoren des Roboters schwenkten suchend,
scannend umher, doch Moh war bereits aus dem

Weitere Kostenlose Bücher