Das Sternenprogramm
sie ein Volk waren. Die vorderen Reihen der
Soldaten rissen ihre Abzeichen herunter, gaben Waffen ab. Die
härteren Cops wichen zurück, nahmen neue Stellungen ein
oder verschwanden in finsteren Eingängen, während die
Menge an ihnen vorüberrannte.
Und anderswo, außerhalb der Städte, mit wackelnden
Kameras heimlich gefilmt, von rasch detektierten und
zerstörten Fernsteuerkameras, rückten andere
Streitkräfte vor. Die Barbaren, wie Haie vom Blutgeruch
angelockt.
Janis sah, dass es noch nicht vorbei war, dass noch nichts
entschieden war. Bloß die Menschen glaubten, es sei vorbei,
sie jubelten, planschten in den Springbrunnen, plünderten
Büros, rissen Statuen nieder und tanzten auf den
Straßen.
Janis beobachtete mit tränenüberströmtem
Gesicht die Menge und erinnerte sich daran, wie sie einmal im
Glauben, alles sei vorbei, auf der Straße getanzt hatte,
auf der Straße im strömenden Regen.
Diesmal wusste sie, was sie zu erwarten hatte. Sie streifte
methodisch durchs Haus, packte so viel an transportfähiger
und haltbarer Nahrung ein, wie sie finden konnte. Emotionslos
sortierte sie den Inhalt von Mohs und ihrer Reisetasche, bis ein
Rucksack übrig blieb, der vor allem Munition enthielt.
Nebenbei verfolgte sie das Fernsehen – es zeigte
überfüllte Plätze und Straßen in der
Abenddämmerung, eine Euphorie, die Anspannung und
Entschlossenheit Platz machte – und überprüfte
den Bildschirm des Gewehrs, passte das Visier ihrer
Größe an, lernte die Protokolle auswendig.
Sie warf einen Blick in die Tiefe des Speichers, so wie Moh es
bei seiner ersten Überprüfung getan hatte. Was sie
darin vorfand, war unverständlich, nichts als verwaschene
Schemen; gewiss kein passiver Datenspeicher, als den er es
beschrieben hatte. Sie loggte sich rasch wieder aus.
Das Telefon piepste. Sie nahm den Anruf entgegen. Der Monitor
zeigte Schnee und Linien, dann schalteten sich die Backup-Systeme
ein. Als sich die Anzeige stabilisierte, erblickte sie Vans
Gesicht. Die Bildqualität war so schlecht wie seit Jahren
nicht mehr.
»Hallo, Janis. Alles in Ordnung?«
»Ja, klar. Im Moment, ja. Wie sieht es bei Ihnen
aus?«
Van schnitt eine Grimasse. »Kompliziert. Die Offensive
wurde abgebrochen, aber unsere unzuverlässigen
Verbündeten vom Linksbündnis haben einen Volksaufstand
angezettelt, den wir zu lenken versuchen. Die Lage ist sehr
gefährlich, weil wir die entscheidenden gegnerischen
Einheiten nicht ausgeschaltet haben. Sie halten sich zurück,
weil sie jeden Moment mit einer UN-Intervention rechnen. Das gilt
auch für uns. Die Lage in Britannien hat überall
höchste Priorität. Verlassen Sie die Siedlung so bald
wie möglich. Als Erstes wird man die bekannten
ANR-Stützpunkte angreifen.«
»Das hier ist ein Stützpunkt der ANR?«
»Nein, das ist eine ungeschützte zivile Siedlung.
Deshalb evakuieren wir sie ja.«
»Oh.« Ja, das war die richtige Vorgehensweise,
wenn man mit US/UN-Angriffen rechnete. Die Zivilisten aus den
zivilen Gebieten entfernen, die Verwundeten fortschaffen mit
allem, was mit einem roten Kreuz bemalt war.
»Dr. Van.«
»Ja.«
»Können Sie mir sagen – ob sie bereits etwas
herausgefunden haben?«
Van nickte und sah auf einmal sehr alt aus. »Ja, das
kann ich. Das ganze Kommunikationsnetz ist gefährdet; wir
haben nichts mehr zu verlieren. Heute Nachmittag hat Donovans
Organisation einen massiven Virenangriff gestartet. Das Ziel
waren offenbar die Uhrmacher-Ais. Falls welche übrig
geblieben sind, dann befinden sie sich in isolierter Hardware.
Und im Dissembler-Code.« Er zuckte die Achseln.
»Vielleicht wurden sie auch alle gleichzeitig vernichtet.
Und mir scheint…«
»Wollen Sie damit sagen, er sei von einem Computervirus getötet worden?« Dieser Gedanke
war so monströs, dass es ihr die Tränen in die Augen
trieb und ihr den Hals zuschnürte.
»Ich weiß«, sagte Van, »es klingt
absurd. Ich glaube, auf einer gewissen Ebene haben wir nicht
geglaubt, dass Kohns Schilderungen der Wahrheit entsprochen
haben. Aber ich habe die EMGs seiner Synapsen gesehen, und die
sind… einzigartig. So etwas ist selbst mir noch nicht
untergekommen.«
Ein Unterton in seiner Stimme brachte sie auf den Gedanken, es
könne noch monströsere Todesfälle, noch schlimmere
und ausgefallenere Todesarten geben. Janis atmete tief durch.
»Ich bin bereit«, sagte sie.
Sie ergriff das Gewehr.
Van erklärte ihr, wo sich der nächste
Weitere Kostenlose Bücher