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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Schutzbunker
befand, dann marschierte sie kilometerweit über finstere
Straßen. An einem Wasserwerk hielt sie an und rief das
Passwort, worauf eine Hand aus der Dunkelheit vorgestreckt wurde
und man sie ins Berginnere geleitete. Als sie am Morgen auf die
Fenstermonitore blickte, fand sie es absurderweise beruhigend,
dass dieser Berg und all die anderen Hügel in
unterschiedlichen Schattierungen von Rotbraun, Gelb und
Hellgrün gemustert waren; eine Art Tarnanstrich.
    Später am Vormittag forderte man sie aufgeregt auf, sich
die Aufzeichnung eines Vorfalls anzusehen, der sich gerade erst
ereignet hatte. Ein Kampfbomber raste über die Schlucht
hinweg und explodierte mit einer solchen Heftigkeit, dass sich
der Monitor weiß färbte. Nach einer Weile sahen sie
den schwankenden, abstürzenden Feuerball, aus dem
kilometerweit Trümmer herabregneten, bevor er am Boden
aufprallte und das Heidekraut entzündete.
    Sie spielten die Aufzeichnung mehrmals ab, und stets
ertönte der gleiche Jubel. Janis hoffte, das Mädchen im
Beobachtungsposten habe den Kopf runtergenommen und die Augen
geschlossen.
    Man sagte ihr nicht, wie viele Menschen in dem Berg lebten.
Bestimmt Hunderte. Die Kämpfer waren woanders; ihre
Abwesenheit hatte kaum Auswirkungen auf die
Bevölkerungszusammensetzung – es gab junge Männer
und Frauen und alte, und es gab Eltern, die sich um ihre Kinder
Sorgen machten, weil sie zu den Kämpfern gehörten.
    Die Nachrichtenmonitore waren zunächst übervoll. Als
die Gemeinwesen sich vereinigten, hatte die Regierung den Druck
nach Möglichkeit ausgeweitet. Damit konnte sie weder die
gegen sie anbrandenden Wellen von Demonstrationen und Streiks
eindämmen, noch den Umstand verschleiern, dass ihre
Einheiten von ANR-Kämpfern attackiert wurden, die
mittlerweile wieder zur Guerillataktik Zuflucht genommen hatten,
jedoch in einem weit größeren Maßstab als vor
der Offensive.
    Der US-Präsident verkündete eine neue
Truppenaushebung.
    Die Zensur und die Funkstörungen hörten auf. Man
sprach über eine neue Verfassung, eine Revision des
Restaurationsabkommens. Am nächsten Tag wurde über die
Revolution geredet, als habe sie bereits stattgefunden. Es war
die Rede von einem Neuen Königreich.
     
    »Ich gebe nicht viel auf Vorahnungen«, meinte
Jordan, »aber ich habe ein wirklich mieses
Gefühl.«
    Es war der vierte Tag, seit die stockende Offensive auf die
aufständischen Massen übergegriffen und von ihnen
übernommen worden war und die größte
Demonstration seit Menschengedenken den Trafalgar Square
überschwemmt hatte. Von den Truppen der Hannoveraner war
nichts zu sehen, aber jeder wusste, wo sie waren. Es gab
unsichtbare Grenzen, die niemand überschritt.
    Der Himmel über den dunklen Straßen war ein roter
Hilfeschrei. Nachrichtenjäger kreisten in der Luft, ihre
Mikrofone, Linsen und Pheromonsensoren ähnelten
Sinneshaaren, ausgerichtet auf das Geräusch, den Blick, den
Geruch der Angst. Jordan und Cat saßen auf den Stufen der
National Gallery, tranken Kaffee aus Styroporbechern und mampften
Döner Kebabs. (Fünfunddreißig Mark: das
Kleinbürgertum stürzte sich auf seine Weise in die
Revolution.)
    »Ich weiß, was du meinst«, sagte Cat.
»Das ist Absicht. Die ganze City von Westminster
soll einem dieses Gefühl vermitteln. Lauter Geschäfte
und Büros und Verwaltungsgebäude und Statuen. Alles
gehört der Hauptstadt oder dem Staat. Nein, es ist mehr als
das. Das ist überladen, anstößig.
Überschüssige Werte, die jahrhundertelang wie Fett
abgelagert wurden. Ich hoffe, dass wir die Gegend diesmal dem
Erdboden gleichmachen.«
    »Also, das ist ein Teilaspekt«, meinte Jordan und
schaute zu den auf dem Platz verteilten Grüppchen von
Diskutanten hinüber. »Aber das ist längst noch
nicht alles. Es scheint so, als hätten wir die Macht und als
sei die Regierung auf der Flucht, aber trotzdem haben wir nicht
gesiegt.«
    »Da hast du, verdammt noch mal, Recht«, meinte
Cat. »Deshalb sind wir hier. Wir werden solange herkommen,
bis die Hannoveraner entweder mit erhobenen Händen oder
schießend aus ihren Bunkern und Kasernen
hervorkommen.«
    »Dann werden zumindest einige von uns das Feuer
erwidern.«
    Cat schaute ihn an. »Aber nicht lange.« Sie lehnte
sich an die Mauer, schloss die Augen und begann halblaut zu
singen:
     
Erhebt euch, Gegner der Interventionen,
erhebt euch, den Weg in die Freiheit zu bereiten!
Vertraut nicht dem Staat

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