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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Lieder ihrer und anderer
Republiken, ›Bandiera Rossa‹ und
›Alba‹ und ›Die Menschen hinter dem
Stacheldraht‹ und ›Das Patriotenspiel‹.
    Janis sang mit und hielt das Gewehr dabei auf dem Schoß
wie der Mann die Gitarre. Sie musterte im schummrigen Licht die
Gesichter, als ob sie nach einem bestimmten Gesicht suchte, und
dann sah sie es.
    Nachts lag sie so lange wach, bis die Erschöpfung
über ihren Zorn und ihren Kummer die Oberhand gewann.
     
    Im Laufe der nächsten Tage sah sie ihn mehrmals wieder
und hörte ihn auch: ein Warnschrei, ein gemurmelter Rat, ein
Licht-und-Schatten-Muster unter den Bäumen.
    Bisweilen sah sie ihn auch klar und deutlich im Freien.
    Sie vermochte nicht zu glauben, was da geschah. Das konnte
einfach nicht sein. Immer wieder sagte sie sich, es läge an
der Anspannung des Kämpfens. Sie hatte keinen geistigen
Defekt und ihre Weltanschauung keinen Sprung. Bloß ihre
Wahrnehmung war gestört, ihre Augen zu sehr daran
gewöhnt, versteckte Gegner aufzuspüren.
    Eines Tages sah sie ihn aus den Augenwinkeln, wie er neben ihr
einherschritt.
    »Geh weg«, sagte sie.
    Er verschwand. Am nächsten Lagerplatz setzte sie sich ein
paar Meter abseits von den anderen, nahm die Brille ab und rieb
sich die Augen. Als sie die Brille wieder aufsetzte, stand er vor
ihr und musterte sie besorgt.
    »Janis, ich möchte mit dir reden.«
    »Ach. Moh!« Es war nicht fair, dass er so
zurückkehrte.
    »Ich bin nicht Moh«, sagte er traurig.
    »Wer, zum Teufel, bist du dann?«
    Er lächelte, ließ sich neben ihr nieder und legte
sich auf die Seite, ihr zugewandt. Als sie die Hand ausstreckte,
ging sie durch ihn hindurch. Sie boxte ins Gras und weinte, dann
nahm sie die Brille ab. Er war nicht mehr da, doch als sie die
Brille wieder aufsetzte, sah sie ihn erneut.
    »Aha«, meinte sie.
    »Lass niemanden merken, dass du Selbstgespräche
führst«, sagte er. »Ich höre dich auch,
wenn du bloß flüsterst.«
    Sie drehte sich um, legte sich mit dem Gesicht ins Gras und
murmelte vor sich hin; bisweilen vergewisserte sie sich, dass er
noch da war. Das Herz pochte ihr vor wilder Hoffnung.
    »Du bist im Gewehr, nicht wahr? Hast du… hast du
dich in den Speicher geladen?«
    »Ich bin das Gewehr«, sagte er. »Aber ich
bin nicht Moh. Ich bin die AI im Gewehr. Ich… habe mich
unmittelbar nach Mohs Tod im Gewehr wiedergefunden. Ich erinnere
mich an Moh, ich verfüge über Routinen, die mich in die
Lage versetzen, ihn perfekt zu imitieren – seine Stimme,
seine Erscheinung.« Er kicherte schelmisch. »Und mit
besserer Ausrüstung auch noch in anderer Hinsicht. Das
Gewehr hat viele Informationen über Moh gespeichert, die ich
nutzen kann, um eine… eine Person zu projizieren. Aber
mach dir nichts vor, Janis, ich bin nicht einmal sein
Gespenst.«
    »Du bist sein Avatar.«
    »Könnte man so sagen.«
    Sie kaute auf einem Grashalm und dachte daran, wie Moh mit dem
Gewehr geredet hatte, wie er über das Gewehr geredet hatte.
Das Gewehr hatte bisweilen selbständig, unvorhersagbar
agiert. Wie ein selbständiges Bewusstsein, das in der
eingebauten und raubkopierten Software zum Leben erwacht war, im
Austausch mit einem Menschen, in Interaktion mit…
    »Der Uhrmacher!«, sagte sie. »Von dem hast
du das Bewusstsein.« Und in diesem Fall indirekt auch von
Moh.
    Mohs Ebenbild runzelte die Stirn. »Das glaube ich
nicht.«
    »Vielleicht stammt es ja auch unmittelbar von
Moh.« Und in diesem Fall…
    »Ach, Janis, ich weiß, weshalb du so reagierst,
aber bitte tu’s nicht. Moh ist tot.«
    »Und du lebst.«
    »So scheint es.«
    »Sohn eines Gewehrs.« Sie blickte ihn
lächelnd an. »Und du weißt mehr über ihn
als ich. Dann hat vielleicht mehr von ihm überlebt, als er
sich jemals hat träumen lassen. ›Tot sein
heißt, nicht überlebt zu haben.‹«
    Das Avatar schwieg einen Moment. »Das müsste ich
wissen.«
    Ihre Kameraden bereiteten sich auf den Aufbruch vor.
    »Was sollen wir jetzt machen?«, flüsterte
Janis.
    »Sobald du eine Kommunikationsbuchse findest«,
antwortete das Avatar, »Stöpsel mich ein.«
    Jetzt erst fiel ihr auf, wie schattenhaft unwirklich das
Avatar trotz seiner scheinbaren Körperlichkeit wirkte.
»Was ist mit Donovans Viren? Können sie dir denn
nichts anhaben?«
    »Nicht mehr«, antwortete das Avatar. »Die
Basissoftware der Kalaschnikow hat mich beim letzten Mal
geschützt, und seitdem war ich nicht untätig. Mit
Donovan haben wir noch

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