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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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stand Janis mitten im
Dorf im Schlamm, drehte sich im Kreis und musterte die Umgebung.
Zwischen den Häusern lagen ein paar Leichen. Die dreizehn
überlebenden Männer saßen mit erhobenen
Händen im Dreck. Ihre Gewehre, Armbrüste und Messer
lagen außer Reichweite auf einem Haufen. Etwa dreißig
ANR-Soldaten hielten entweder Wache oder durchsuchten die
Hütten und warfen Gegenstände heraus: Kleider, Waffen,
Nahrungsmittel, Möbel. Sie wirkten wie Menschen, die einen
ekelerregenden Müllhaufen durchstöberten. Die Frauen
und Kinder standen unter dem Dachgesims einer offenen
Schutzhütte, die sie als Langhaus bezeichneten. Regen
tropfte ihnen ins verfilzte Haar und hinterließ auf ihren
verschlossenen Gesichtern weiße Furchen. Wenn sie einen
Schritt in die Schutzhütte hinein oder aus dem vom Dach
herabströmenden Wasser heraus machten, wurden sie von einem
barschen Befehl oder einem Tritt wieder
zurückbefördert.
    Man vernahm das Winseln von Hunden mit Maulkörben aus
Drahtgeflecht; die Leinen hielten mehrere ANR-Soldaten, und hin
und wieder heulte einer auf, als er auf einen langen,
angespitzten Pfahl gespießt wurde, der schräg in eine
Erdböschung getrieben war. Sechs bislang. Fünf waren
noch übrig.
    Der Regen prasselte auf einen schwarzen Leichensack auf der
Ladefläche eines Humvees, der am Dorfeingang parkte, in der
Nähe des Baumes, wo sie die Leiche gefunden hatten: einen an
den Füßen aufgehängten gefangenen Soldaten, der
von den Hunden übel zugerichtet worden war.
    Noch drei.
    Als der Hund aufgespießt wurde, schrie ein kleiner Junge
auf. Er riss sich von einer Frau los, die ihm die Hand auf die
Schulter gelegt hatte, und stürzte vor. Im nächsten
Moment rannten ihm die anderen nach. Janis schwenkte das Gewehr
herum. Es stoppte ihre Hand so abrupt, als sei es gegen ein
festes Hindernis geprallt, und feuerte einen einzelnen Schuss ab.
Der Junge brach mit einem Aufschrei zusammen. Janis hatte das
Gefühl, das Herz bliebe ihr stehen. Der Junge rappelte sich
hoch und rannte zur Frau zurück.
    Der letzte Hund zappelte auf dem Pfahl. Der erste war noch
immer nicht tot.
    »Hat es euch die Sprache verschlagen?« Der
Anführer ihrer Einheit, ein kleiner, umgänglicher Mann
mittleren Alters, der Wills genannt wurde, blickte sich um wie
ein Schullehrer.
    Schweigen.
    »Wessen Idee war das?«
    Schweigen und Regengeplätscher.
    Wills wandte sich an Janis.
    »Nimm ein paar Leute und mach einen neuen Pfahl«,
sagte er so laut, dass die Dorfbewohner ihn hören konnten.
Währenddessen musterte er die durchnässten Frauen und
Kinder.
    Nein, sagte eine Stimme in Janis’ Kopfhörer, das kannst du nicht machen! Damit darfst du nicht einmal
drohen!
    Es war Mohs Stimme. Sie hörte, wie sie so leise, dass
sonst niemand es mitbekam, mit ihrer eigenen Stimme zu Wills
sagte: »Nein. Das kannst du nicht machen! Damit darfst du
nicht einmal drohen.«
    Wills kniff hinter der regennassen VR-Brille die Augen
zusammen.
    »Willst du mir drohen, Bürgerin?«
    »Nein, ich…« Sie bemerkte, dass das Gewehr
ihre Körperdrehung mitvollzogen hatte und auf Wills zielte.
Mittlerweile war es ihr zur Gewohnheit geworden, derlei Dinge zu
unterlassen. Sie senkte den Lauf. »Entschuldige,
Wills«, sagte sie. »Du weißt, dass wir
das… was du vorgeschlagen hast… nicht tun
können. Allein es auszusprechen bringt uns in die Nähe
von…« Sie schwenkte die offene, steife Hand auf und
nieder: eine Schneide.
    »Wir müssen etwas unternehmen«, sagte Wills.
»Andernfalls…«
    »Tu, was man von uns erwartet«, fauchte Janis.
»Ruf einen Hubschrauber, flieg die Barbaren aus und
zerstöre das Dorf.«
    »Das reicht nicht, Genossin. Das reicht den Genossen
nicht.« Wills ruckte leicht mit dem Kopf. Janis wusste, er
hatte Recht. Die Jungs und Mädels wollten Rache. Andernfalls
würden sie einen provozierten Zwischenfall zum Anlass
nehmen, ein denkwürdiges Massaker anzurichten.
    »Okay«, sagte sie. »Wir zerstören erst
das Dorf und lassen die Barbaren zusehen, dann evakuieren wir
sie.«
    Wills blickte sie einen Moment lang schweigend an, dann nickte
er lächelnd, als hätten sie lediglich eine
freundschaftliche Unterhaltung geführt, und gab den
Befehl.
    Die Bürgersoldaten johlten und die Barbaren weinten, als
die Hütten in Flammen aufgingen. Dichter Qualm stieg dem
anfliegenden Evakuierungshubschrauber entgegen. Eine weitere
Ladung brüllender Waisen und verstockter

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