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Das stille Gold der alten Dame

Das stille Gold der alten Dame

Titel: Das stille Gold der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Malet
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auf, was sich hinter
seinem Rücken abspielte. Er hatte mich gesehen und drückte sich in den Eingang
der ehemaligen Ringbahn, Ecke Rue des Vignes . Er
wollte mich abhängen. Aber was man abhängen will, ist anhänglich. Er stand
neben einem Briefkasten und machte sich so unsichtbar wie möglich. Trotzdem
entdeckte ich ihn vom Bürgersteig gegenüber. Ich ging zu ihm. Ja, er war’s.
    „Wartest du auf den nächsten Zug?“
fragte ich ihn. „Der ist schon längst abgefahren.“
    „Du gehst mir auf den Sack!“ gab er
zurück.
    „Wolltest du dich umbringen? So
schreckliche Gewissensbisse?“
    „Mich umbringen? ... Ach so, der
Scheiß wagen. Der kam aber auch angerast! Und ich überlegte gerade...“
    „Siehst nicht so aus, als wär was
dabei rausgekommen.“
    „Wobei?“
    „Beim Überlegen.“
    „Hm...“
    Er holte Zigaretten aus der Tasche,
steckte sich eine ins Gesicht und zündete sie an. Lässig, locker, unendlich
gelangweilt und belästigt.
    „Hm...“, brummte er wieder. „Glaub
schon.“
    „Was?“
    „Das was dabei rausgekommen ist, beim
Überlegen.“
    „Wie schön für dich. Und wohin willst
du, so mitten in der Nacht?“
    „Frische Luft schnappen. Ist das
verboten?“
    „Aber nein! Wie wär’s, sollen wir
zusammen hingehen?“
    „Wohin?“
    Das reinste Quiz.
    „Dahin, wo du den Schmuck deponiert
hast.“
    „Ich wollte nur ‘n klaren Kopf kriegen
und meine Gedanken sortieren“, sagte er achselzuckend. „Du bist umsonst hinter
mir hergerannt. Ich geh spazieren.“
    „Gut, gehen wir zusammen.“
    Er seufzte:
    „Zusammen, hm? Oh, wie du willst. Aber
ich warne dich: Ich bin gut zu Fuß, obwohl ich ewig im Auto sitze. Nicht daß du
schlappmachst...“
    „Nur keine Sorge. Meine Füße sind
prima in Ordnung.“
    „Scheiße!“ knurrte er. „Du mit deinem
Gequatsche.“
    Er hob die Augen gen Himmel, um ihn
anzuflehen, ihn zum Zeugen anzurufen oder um das Wetter zu beurteilen.
    „Gut“, sagte er schließlich
resigniert. „Gehen wir zusammen.“
    Bénech marschierte los, ohne Rücksicht
auf meine eventuellen Wünsche in Bezug auf die Richtung. Um mir seine
Unabhängigkeit zu demonstrieren, holte er einen Schlüssel aus seiner Tasche und
streifte gegen die Stäbe des Gitters, an dem wir entlanggingen. Wie die kleinen
Kinder. Nach ‘ner Weile taten mir davon die Zähne weh, aber ich sagte nichts.
Mal sehen, wer länger durchhielt. Wir kamen zu Reihenhäusern, die durch Gärten
von der Straße getrennt waren. Die schützenden Mauern eigneten sich wenig zum
Lärmen. Der Chauffeur steckte sein Instrument für musique concrète wieder ein, wurde deshalb aber nicht
gesprächiger.
    Ein Auto fuhr an uns vorbei, hielt an,
parkte zwischen zwei anderen Autos. Ein junger Bursche stieg pfeifend aus und
ging auf die andere Straßenseite. Immer noch pfeifend, stieß er mit dem Fuß
eine alte Camenbert -Schachtel vor sich her. Dann
verschwand er in einer der Privatvillen, die gegenüber den fünfstöckigen
Häusern stehen. Die Camenbert -Schachtel blieb einsam
im Rinnstein zurück und wartete auf den nächsten barmherzigen Fuß, der sie ein
Stückchen weiterbeförderte. Ein hübsches Paar, der pfeifende Hobby-Fußballer
und mein Bénech mit seinem Schlüssel! Und dazu noch die Alte mit dem Ballonhut,
die aus dem Boulainvilliers gekommen war! Die und der Camen - bert -Typ konnten ‘ne
erstklassige Zucht anlegen...!
    „Ganz schön bekloppt, der Kerl da!“
bemerkte ich lachend.
    „Davon gibt’s hier ‘n ganze Menge“,
sagte Bénech.
    „Ach, sieh an! Hast du deine Stimme
wiedergefunden? Sie ist so schön! Schade, daß du sie nur so selten benutzt...“
    „Hab schon genug geredet“, knurrte
Bénech.
    Dann verfiel er wieder in hartnäckiges
Schweigen.
    Wir gingen an dem Kino in der Rue des Vignes vorbei. Einige Neonröhren der Leuchtreklame waren
kaputt. Bénech bog in die Rue Raynouard ein.
    „Gehen wir zurück ins Hotel?“ fragte
ich.
    Keine Antwort. Stumm schlug der
unermüdliche Wanderer den entgegengesetzen Weg ein.
Kleiner Schlauberger! Wollte mich wohl in die Knie zwingen! An dieser Stelle
steigt die Rue Raynouard nämlich an. Na gut. Etwas
Training konnte mir nicht schaden. Aber so langsam ging mir der Junge auf die
Nerven. Rannte durch die Straßen und paffte eine Zigarette nach der andern. Nur
um mir zu beweisen, daß ich ihm scheißegal war!
    Wir erreichten die Avenue de Lamballe . Hinter der Rue Berton stieß das Lichtbündel des
Eiffelturms gegen die Wolken. Der Chauffeur lehnte sich

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