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Das stille Gold der alten Dame

Das stille Gold der alten Dame

Titel: Das stille Gold der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Malet
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gegen die Brüstung, die
an dieser Stelle die Rue Raynouard von der
tiefergelegenen Rue Berton trennt. Er schien unschlüssig, welchen Weg er jetzt
einschlagen sollte.
    „Wir sollten ins Hotel gehen“, schlug
ich vor.
    „Hält dich keiner zurück“, knurrte er.
    Er drehte sich um, stützte sich mit
den Ellbogen auf das Geländer und spuckte seine Kippe aus. Drei Meter tiefer
landete sie in einer Pfütze, wo sie zischend erlosch.
    „Du willst mir doch wohl nicht das
Haus von Balzac zeigen, hm?“ fragte ich.
    Er drehte sich um.
    „Balzac?“ fragte er zurück.
    „Honoré mit Vornamen. Honoré de
Balzac! Einer von uns, dickköpfig und immer blank. Er wohnte da drüben, Rue
Berton.“
    „Rue Berton?“
    Ich zeigte in die Richtung.
    „Ein Haus mit Hinterausgang, um vor
den Gläubigern zu flüchten.“
    „Und was hab ich damit zu tun?“ fragte
Bénech achselzuckend.
    Der Junge hatte aber auch gar keinen
Sinn für literarische Anekdoten. Vielleicht versuchte ich’s mal mit Autos...
    „Was hältst du von dem neuen Citroën?“
    „Von dem neu... Ah! Du langweilst
mich.“
    Er gähnte.
    „Ich geh jetzt in das Bistro Ecke Rue
de la Tour.“
    „Gute Idee.“
    Wir gingen die hügelige Straße weiter.
Die hellerleuchteten Eingangshallen der Häuser waren so groß wie Bahnhöfe, nur
eleganter, aber fast genauso heimelig und auf jeden Fall wenig originell. Wir
kamen zu der Kreuzung, die ich heute nachmittag schon überqueren durfte, als ich hinter meinem lieben Célestin hergelaufen war.
Wir konnten schon die Lichter des Cafés sehen, vor allem die des bar- tabac in der Rue Franklin. Auch die Autos warfen ihr
Scheinwerferlicht auf die Fahrbahn. Die paar Meter jedoch, die uns von diesen
Lichtem trennten, lagen im Dunkeln. Und genau hier spannte mein Begleiter die
Muskeln und streckte sich, wie zur Vorbereitung auf eine plötzliche Attacke.
Meine Signallämpchen leuchteten zu spät auf, oder aber der Kerl gehörte zu den
ganz Schnellen. Wär ich auf so was Ähnliches gefaßt gewesen...
    Er versuchte, mich zu Boden zu stoßen,
stürzte sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich. Ich kapierte überhaupt nichts.
Der Kerl wollte mir doch wohl nicht an der Häuserwand die Fresse einschlagen?
An der Wand? Genau an dieser Stelle gab es überhaupt keine. Und Célestin wußte
das. Er kannte das Viertel in- und auswendig. Zwischen zwei Häusern öffnete
sich ein schmaler Durchgang. Ein steiles Treppchen führte hinunter auf ein
Gelände hinter der Rue Charles-Dickens. Falls ich mich irre, mögen es mir die
netten Bewohner der Rue Charles-Dickens verzeihen. Das mit dem steilen
Treppchen stimmte jedenfalls. Passage des Eaux heißt
der Durchgang. Wird eines Tages bestimmt ‘ne historische Sehenswürdigkeit! Hier
im Arrondissement liebt man ja Gedenktafeln. Warum soll ich hier keine
anbringen lassen? Das Treppchen verdient es. Mein Kopf ist an stumpfe
Gegenstände gewöhnt. Hat schon so manchen Schlag ausgehalten. Mit der Pistole,
dem Knüppel, mit Stühlen und Tischen. Einmal hat mir ein Miststück in Saint-Germain-des Prés sogar eine
Tür vors Zifferblatt geknallt. Die Bekanntschaft mit ‘ner Treppe fehlte
allerdings noch in der Sammlung. Aber dank Célestin fehlte es mir jetzt auch
daran nicht mehr. Der echauffierte Chauffeur kannte mich schon ziemlich gut.
Mich und meine Vorliebe für originelle Einfälle aller Art! Ja, besichtigen Sie
ruhig meine Treppe. Eine Treppe ohne Geländer, ohne irgendwas, woran man sich
festhalten kann. Und dann stellen sie sich Ihren Freund Nestor Burma vor, wie
er da runterpurzelt, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht! Stößt
hier und da an, prallt dort gegen die Wand, und zu allerletzt knallt er so
richtig schön mit dem Hinterkopf auf.
    Als ich mich mühsam wieder aufrichten
wollte, fluchend und fauchend, spielten mir meine Scheiß-Kreppsohlen den
Zusatz-Streich. Ich rutschte auf den ausgetretenen, vom Regenguß noch nassen Stufen aus, und diesmal, dieses letzte Mal, war mein Kinn der
leidtragende Körperteil.
     
    * * *
     
    Um wieder zu mir zu kommen, legte ich
mich auf den Rücken. Die Stufenkante drückte sich mir ins Fleisch. Wir ein
Fakir lag ich da. Federn wären mir lieber gewesen. Bald würde ich bequem in meinem
Hotelbett liegen; aber bis dahin dauerte es noch ‘ne Weile, und ich mußte
atmen. Mir war, als befände ich mich in einem riesigen, schwarzen Schornstein.
In dem Ausschnitt des Himmels, den ich sehen konnte, schob der Wind die Wolken
vor sich her. Ein Stern

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