Das stille Gold der alten Dame
überlegte gerade, ob es ratsam sei zu klingeln oder nicht, da gab Madame
Ailot mir höchstpersönlich die Antwort. Sie öffnete das Gartentor und flüsterte
mir zu, einen Finger beschwörend auf dem Mund:
„Kommen Sie.“
Sie hatte einen Pelzmantel
übergeworfen. Darunter blitzte Seide. Sollte sie mich zu Célestins Nachfolger
auserkoren haben? Mir war zwar nicht danach zumute, aber ich folgte ihr
trotzdem. Über uns rauschte es idyllisch in den Bäumen. Wir gingen durch einen
Nebeneingang ins Haus. Dann standen wir in demselben Zimmer, in dem mich Madame
Ailot beim ersten Mal empfangen hatte. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und
schmiegte sich in ihren Pelz. Darunter hatte sie außer ihrem rosa Nachthemd
bestimmt keinen Faden am Leib.
Ängstliche Nervosität stand in ihrem
Gesicht geschrieben, das ohne Schminke zwar nicht älter, aber härter wirkte.
Bei meinem ersten Besuch hatte ich diesen Ausdruck nicht bemerkt. In dem
gedämpften Licht glänzte ihre Haut, und ihr bläuliches Haar schrie nach einem
Kamm. Kurz gesagt, das Vorhaben, mich zu verführen, war zum Scheitern
verurteilt. Oder aber Madame hatte ihre besondere Taktik. Wenn sich unsere
Blicke trafen, las ich in ihren Augen eine bestimmte Angst, gemischt mit kühler
Entschlossenheit.
„Ich weiß nicht, was ich denken soll“,
seufzte Madame Ailot. „Das Denken können Sie ruhig mir überlassen“, sagte ich.
„Dafür bin ich da. Erklä ...“
Sie unterbrach mich, als sie meinen
zerknautschten Anzug sah:
„Was ist denn mit Ihnen passiert?“
„Darauf hab ich am Telefon eben
angespielt“, antwortete ich. „Hab mich mit Bénech getroffen und ihm Ihren
Vorschlag unterbreitet. Er wollte darüber nachdenken. Und nachdem er genug
darüber nachgedacht hatte, hat er mich rund fünfzehn Stufen runtergeschubst.“
„Ein furchtbarer Mensch“, stöhnte sie.
„Er... Er war hier.“ Ohne auf ihre Aufforderung zu warten, setzte ich mich.
„Wann?“
„Um Mitternacht. Ich muß dazu sagen,
daß ich unter Schlaflosigkeit leide und...“
„Scheint verbreitet zu sein, hier im
Viertel.“
„Wie meinen Sie das?“
Mit der rechten Hand knetete sie
nervös die Finger der linken. „Sie schlafen nicht“, erklärte ich, „der
Nachtportier meines Hotels schläft nicht, Célestin schläft nicht, und ich
schlafe auch nicht. Macht das die Luft von Passy?“
„Oh, bitte! Sparen Sie sich Ihre
Bemerkungen.“
„’ tschuldigung ...
Was wollte Bénech?“
„Das... das erklär ich Ihnen später.
Da ich also schlecht schlafe, höre ich jedes ungewohnte Geräusch. Aber
vielleicht hab ich auch nur rein zufällig aus dem Fenster gesehen. Jedenfalls
stand er vor dem Haus. Wahrscheinlich hat er noch einen Schlüssel... Oder er
hat sich einen nachmachen lassen...“
„Das sind doch unwichtige Details“,
bemerkte ich ungeduldig. „Ob Sie ihn zufällig draußen gesehen haben... ob er
einen Schlüssel hat oder sich hat machen lassen... ob er über die Mauer
gesprungen ist oder übers Tor... Völlig egal. Wichtig ist nur: Er hat Sie
besucht, und das hat Sie durcheinandergebracht. Was hat er gesagt?“
„Nichts!“
„Wie, nichts?“
Sie schlug die Hände vors Gesicht.
„Ich glaube“, flüsterte sie durch die Finger,
„jetzt kann ich den Skandal nicht mehr vermeiden.“
„Langsam, langsam“, beruhigte ich sie.
„Ich bin ja auch noch da. Wir Privatdetektive verstehen uns darauf, alles
wieder gradezubiegen ... Ihre Geschichte ist ziemlich
unklar, aber je unklarer die Geschichte, desto besser komme ich klar.“
Unbewiesene Behauptung. Ich fühlte
mich etwas benommen. „Ah...“, stotterte ich. „Nicht daß Sie mich für einen der
Detektive halten, die nur unter Stoff arbeiten können... aber... haben Sie
nicht was Starkes für mich da? Ich glaube, ich muß meine grauen Zellen
anregen.“
Sie nahm die Hände vom Gesicht.
„Es müßte etwas Whisky dasein “, sagte sie wie im Traum.
Sie stand auf und ging hinaus. Mit ihr
verschwand so was wie ein Duft. Kein Parfüm. Der Geruch von jemandem, der vor
heftiger innerer Erregung sehr schwitzt. Die Angst vor dem unvermeidbaren
Skandal! Nein, so einfach, wie sie sich’s vorgestellt hatte, kriegte sie ihren
Schmuck nicht wieder. Das kommt davon, wenn man mit seinem Chauffeur schläft...
Sie kam zurück, in der Hand ein Tablett mit zwei Gläsern und einer bauchigen
Flasche mit einer sympathischen, bernsteinfarbenen Flüssigkeit.
„Ich glaube, ich könnte auch einen
Schluck vertragen“, sagte sie und
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