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Das stille Gold der alten Dame

Das stille Gold der alten Dame

Titel: Das stille Gold der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Malet
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dem Dickschädel zu diskutieren. Ich konnte höchstens das Gesagte bis
zum Erbrechen wiederholen.
    „Nicht schlecht, hundert Riesen“,
murmelte er. „Hast du sie bei dir?“
    „Und du?“
    „Was... ich?“
    „Die Klunker?“
    „Die sind nicht hier.“
    Ich stand auf.
    „Ich empfehle mich höflichst“, sagte
ich höflich. „Hab’s verdient. Du siehst aus, als würdest du überlegen. Überleg’s dir gut. Und wenn du lange genug überlegt hast,
sag mir Bescheid. Ich wohn gleich nebenan. Bis bald. Und vielen Dank für den
Gin.“
     
    * * *
     
    Ich hatte das Fenster in meinem Zimmer
offengelassen. Der Fußboden war ganz naß vom Regen,
der inzwischen aufgehört hatte. Dieser Yves Bénech war ein richtiger
Regenmacher. Kam er ins Zimmer, fing es an zu regnen. Verabschiedete man sich
von ihm, hörte es sofort auf. Ich schloß das Fenster, obwohl’s dafür ‘n bißchen spät war. Es hatte sich abgekühlt. Um mich aufzuwärmen,
steckte ich mir eine neue Pfeife ins Gesicht. Irgendwie fühlte ich mich
komisch. Kam sicher nicht vom Gin. Irgendwas war faul an der Sache. Doch in
meinem Beruf hat man häufiger den Eindruck. Und oft ist es nur ein Eindruck.
Nicht immer...
    Ich setzte mich aufs Bett und zog
einen Schuh aus. Genau in dem Moment hörte ich ein leises Geräusch auf dem
Flur. Ich lauschte. Jemand ging an meinem Zimmer vorbei, blieb kurz stehen,
ging weiter. Ich knipste das Licht aus und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Im
Schein der jämmerlichen Birne sah ich eine Gestalt die Treppe hinunter
verschwinden. Ungefähr die Maße von Yves Bénech, grauer Regenmantel, grauer
Hut. Bestimmt hatte er genug überlegt und machte jetzt einen nächtlichen
Spaziergang. Ich zog in Windeseile meinen Schuh wieder an, setzte meinen Hut
auf und folgte dem gutbezahlten Don Juan. Unten in der Hotelhalle saß jetzt ein
Alter mit schneeweißem Haar hinter der Rezeption.
    „Verdammt!“ lachte er. „Man merkt, daß
ihr noch jung seid! Könnt wohl nicht schlafen, was?“
    „Der Frühling“, versuchte ich zu
erklären.
    „Tja, der Frühling. Mir kann’s egal
sein... Aber ich kann auch nicht schlafen. Wird doch wohl nicht wieder losgehen
mit mir?“ Ich gab ihm meinen Schlüssel.
    „War das nicht grade M’sieur Bénech, der rausgegangen ist?“
    „Ja. Habt alle Hummeln im Hintern,
verdammt!“
    Ich ließ ihn weiterbrummen und ging
aufs Geratewohl die Rue de Boulainvilliers hinauf.
Die feuchten Bürgersteige glänzten im Licht der Straßenlaternen. Weit und breit
kein Mensch zu sehen . Dabei war’s erst viertel nach
elf. Und das in einer Frühlingsnacht! Der Nachtportier im Hotel machte sich
ganz unnötige Gedanken. Allerdings konnte der Platzregen von eben die Leute
abgehalten haben, draußen rumzulaufen. Ein Grund mehr, Yves Bénech ernsthafte
Motive für seinen plötzlichen Ausflug unterzuschieben. Sehr plötzlich, sehr
ernsthaft. Aber nur der Teufel wußte, wo er geblieben war, dieser Bénech!
Eingebungen können was Schönes sein, falls es die richtigen sind. Immerhin kam
ich der Sache näher. Ich vertraute auf meinen guten Stern. Davon waren im
Moment freilich nicht viele zu sehen hinter den Wolken, die der Wind vor sich
herschob. Ich war jetzt ganz sicher: irgend
etwas war faul. Vielleicht erfuhr ich bald, was. Oder ich lief
mir umsonst die Hacken ab.
    Ich stiefelte durch die ländliche
Stille, lauschte auf das leisteste Geräusch, die
geringste Bewegung. Plötzlich zerriß ein Quietschen
die friedliche Nacht. An der nächsten Kreuzung bremste ein Wagen abrupt, um
einen Fußgänger nur mit seinen Scheinwerfern zu erfassen. Autofahrer und
Nachtwandler tauschten wüste Beschimpfungen aus. Wenn’s still ist, ist es
still. Dicht, aber zerbrechlich. Wird die Stille nämlich durchbrochen, dann
geht’s richtig rund. Einer von den beiden Rohrspatzen hatte eine herrliche
Säuferstimme. Aber schließlich, nach einem letzten deutlichen Wort, wurde der
Wagen wieder gestartet und verschwand. Der Fußgänger war noch einmal mit dem
Schrecken davongekommen. Er verschwand ebenfalls im Dunkeln. Aber ich hatte ihn
während der kurzen Auseinandersetzung wiedererkannt: grauer Regenmantel, grauer
Hut, sehr elegant. Ich beschleunigte meinen Schritt. In Höhe der Rue des Maronniers , in der auch mein Dugat parkte, hatte ich die Spur des Nachtschwärmers wiedergefunden. Kurz darauf
verlor ich sie wieder. Heute nachmittag war Yves Bénech arglos verträumt durch die Gegend gelaufen. Jetzt, da es sich
abgekühlt hatte, paßte er genau

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