Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)
anstrengt … Schließlich auch, wie Babhahas Guru am Anfang sagt, birgt diese Übung physische und geistige Gefahren, und ein erfahrener Führer ist vonnöten. [132]
In einer anderen Geschichte, der Legende vom Siddha Nalinpa, wird eine ähnliche Übung für den zölibatären Yogin beschrieben, und der Übersetzer kommentiert: »Einen solchen Gebrauch sexueller Energien erachtet die tibetische Tradition als wünschenswerter.« [133]
Die innere Praxis ohne Partner beruht auf dem östlichen Verständnis, dass das weibliche und das männliche Prinzip in jedem Menschen vorhanden sind. Und wie C. G. Jung ein Bewusstmachen des jeweils anderen Prinzips und seiner Manifestationen als notwendig für die »Individuation« oder Ganzwerdung des Menschen betrachtete (Aktivitäten der unbewussten inneren »Anima« oder des »Animus« hingegen können sehr unerfreuliche Auswirkungen haben), so ist auch vom Standpunkt der östlichen Systeme eine Synchronisierung der beiden Prinzipien nötig. Deshalb ist die Praxis ohne Partner der Praxis mit einem Partner überlegen.
Die Betonung der »Begierdelosigkeit« ist in vielen taoistischen Texten zu finden:
Die Menschen sind begierig nach Sex, um dem Körper gefällig zu sein, und wissen nicht um den Schaden, den sexuelle Aktivität verursachen kann. Im menschlichen Körper wird die Zeugungskraft dazu verwendet, um vitale Energie zu kultivieren, und die vitale Energie wird verwendet, um Geist zu kultivieren. Nur wenn man diese Drei Schätze besitzt, wird man ein langes Leben haben. Wenn man begierig nach Sex ist, wird die Zeugungsenergie zerstreut. Demzufolge kann die vitale Energie nicht kultiviert werden, und der Geist kann sich nicht entwickeln. [134]
Der Arzt Stephen T. Chang formuliert eine moderne Einstellung, die die vielfältige Hinterlassenschaft der taoistischen Tradition eher pragmatisch auszuwerten versucht:
Der Taoismus war die erste Philosophie, die sich grundlegend mit der menschlichen Sexualität auseinandersetzte und die Menschen lehrte, ihre sexuelle Energie für die innere Wandlung zu nutzen. Das Tao der sexuellen Liebe lehrt uns, wie wir sexuelle Befriedigung finden können, ohne unsere Kräfte zu erschöpfen; es erklärt, wie man die Geschlechtsorgane kräftigt und die sexuelle Energie nutzt, um spezielle Beschwerden zu heilen, und wie man das Band der Liebe stärkt; es beschreibt verschiedene Positionen des therapeutischen Geschlechtsverkehrs, gibt Auskunft über natürliche Methoden der Familienplanung und Eugenik und sogar über die Möglichkeit, weiblichen oder männlichen Nachwuchs zu zeugen. [135]
Eine traditionelle Methode zur Stärkung des Jing sind die »Hirschübungen«, die hauptsächlich aus der Kontraktion der analen und genitalen Muskulatur und dem »Hochziehen« der vitalen Energie bestehen. Chang betrachtet die Steigerung des sexuellen Verlangens, das durch diese Übungen hervorgerufen werden kann, jedoch nur als ein Randprodukt:
Wer die Zunahme der sexuellen Energie am eigenen Leib erfährt, neigt häufig dazu, verstärkt sexuell aktiv zu werden. Der Taoismus gestattet dies durchaus, betrachtet allerdings Promiskuität als eine Verletzung der natürlichen Gesetze des Heilens. Alles, was im Exzess betrieben wird, führt zu Schwäche und Energieverlusten. Wer allerdings ein normales, aktives Sexualleben hat und nichts unternimmt, um die während der sexuellen Aktivitäten verlorene Energie wiederaufzubauen, gleicht einer Kerze, die von beiden Enden abbrennt. [136]
Ein Lehrer des »Tao-Yoga« hingegen lehrt gezielt Übungen, die während des Geschlechtsaktes angewandt werden, und ergänzende Übungen zur Steigerung der sexuellen Erregung und Aktivität und verspricht: »Sobald Sie die eigene Kraft fühlen und steuern können, werden Sie neue Freuden erleben, die nahezu unbeschreiblich sind.« [137]
Das Thema ist heikel, insbesondere in einer Kultur mit einer extrem körper-, erotik- und sexfeindlichen Vergangenheit, die sich rühmt, vor noch nicht allzu langer Zeit zu einer großartigen sexuellen Befreiung gefunden zu haben. Im Taoismus heißt es: Wenn Yin sich erfüllt hat, wandelt es sich zu Yang; wenn Yang sich erfüllt hat, wandelt es sich zu Yin. Es liegt eine Gesetzmäßigkeit darin, dass ein Extrem, das seinen Höhepunkt erreicht hat, seinen Ausgleich blindlings im entgegengesetzten Extrem sucht, der Bewegung eines Pendels vergleichbar. Deshalb erscheinen alle Angebote, die Steigerung der sexuellen Aktivität und
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