Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)
der Augen mit den Laogong-Punkten in den Handflächen, nachdem man die Hände langsam und intensiv aneinandergerieben hat. Die leicht gerundeten Hände werden in einer Entfernung von etwa zehn Zentimetern vor die sanft geschlossenen Augen gehalten, und heilendes Qi wird auf sie abgestrahlt.
Außerdem kann man die »Reinigungsübung mit Bäumen« (sieheS. 193) hinzuziehen. Das Qi der Kiefer hat eine besondere Beziehung zum Leber-Qi und wirkt deshalb heilend für die Augen.
Körperliche Empfindungen beim Üben
Zu den häufigsten Phänomenen in der ersten Zeit des Übens gehören ein Gefühl der Hitze in den Extremitäten oder in bestimmten Bereichen des Körpers und ein Anschwellen der Hände und Füße. Ebenfalls häufig ist ein Prickeln oder Jucken.
Solche Phänomene bedeuten, dass das Qi noch verunreinigt ist. Grundsätzlich sind es positiv zu bewertende Erfahrungen – man spürt etwas! Nach längerer Praxis wird das Qi immer reiner und bewirkt ein Gefühl sanfter, angenehmer Kühle, und die Phänomene bleiben aus.
Wann immer durch Übungen ausgelöste Sensationen als zu heftig empfunden werden, lassen sie sich durch Entspannungsübungen beruhigen. Ebenso wie man Straßen anlegt und ihnen eine möglichst glatte Oberfläche gibt, um den Verkehr zu erleichtern, ebnet Entspannung dem Qi den Weg durch den Körper. Fahren über ungeebnetes Gelände braucht viel Energie, und langfristig ist der Bau von Straßen lohnender – wie auch eine gute Entspannungsgrundlage letztlich mehr bringt als eine forcierte Energiepraxis mit spektakulären Sensationen.
Qi Gong und Sexualität
Willst du männlich und weiblich paaren,
bedarf es der gelben Frau;
die Vermittlerin im Zentrum
stellt das Gefäß der Schöpfung dar.
Willst du Verlässliches wissen
über diese gelbe Frau? –
Aufrichtigkeit allein vermag
die Harmonie zwischen den Fünf Elementen herzustellen. [125]
Sexualität ist eine gewaltige biologische Kraft, die den Geist in ihren Bann zu ziehen pflegt. Wird sie unterdrückt, stört sie die Gesundheit von Körper und Geist ebenso, wie wenn sie ungehemmt freigegeben wird. Das ist eine Tatsache, die man nicht besonders betonen muss. Um beide Extreme zu vermeiden, wurde im Taoismus die Innere Kunst der Verwandlung von sexueller Energie, die einen wichtigen Aspekt des Jing darstellt, in reine »Lebensenergie«, Qi, eingesetzt. Übungen dieser Art für Paare nennt man »wechselseitige Kultivierung«.
Im Allgemeinen beziehen sich die Ausführungen über die sexuellen Aspekte der Inneren Alchimie auf die männliche Physiologie. Die weibliche Seite wird gesondert behandelt (siehe »Der weibliche Weg«, S. 234).
Eine taoistische Geschichte macht die freundliche und verständnisvolle Haltung deutlich, die innerhalb der alten chinesischen Kultur der ebenso heftigen wie natürlichen geschlechtlichen Anziehung entgegengebracht wurde:
Ein taoistischer Einsiedler nahm ein Waisenkind als Schüler an. Sie lebten in den Bergen in tiefer Einsamkeit, fernab der Welt, und der Einsiedler lehrte den Jungen, den Weg des Tao zu beschreiten. Eines Tages nahm der alte Meister seinen herangewachsenen Schüler mit in die Stadt, und der junge Mann war überaus beeindruckt von all dem Neuen, das sie bot. Als er eine junge Frau sah, fragte er seinen Meister: »Was ist das?« Der Meister, der nicht wollte, dass die Gedanken seines Schülers beunruhigende Wege gingen, antwortete: »Das ist ein Tiger.«
Sie gingen schweigend den langen Weg zur Einsiedelei zurück. Dort angekommen, fragte der Meister: »Nun, was gefiel dir am besten in der Stadt?« Sein Schüler antwortete, ohne nachzudenken: »Der Tiger.«
In der Geschichte der Inneren Alchimie spielte die »wechselseitige Kultivierung« – sexuelle Praktiken zur Unterstützung der Transformation – stets eine große Rolle, nicht zuletzt als Zankapfel, denn die Urteile der Weisen und Gelehrten über Vor- und Nachteile dieser Praktiken gingen gewaltig auseinander. Auch heute noch vertreten Qi-Gong-Meister sehr unterschiedliche Meinungen; sie reichen von der Ablehnung sexueller Methoden bis zu höchster Lobpreisung des sexuellen taoistischen Yoga oder »Tao-Tantra«.
Beide Haltungen haben ihre traditionellen Wurzeln. Der Standpunkt der eher puristischen Richtung kommt in einem der »Fünfzig Verse zum Zerstreuen der Zweifel« aus der Schule der »Vollkommenen Wirklichkeit« zum Ausdruck:
Wer die abwegigen Techniken
der sexuellen Alchimie praktiziert,
zerstört seine natürliche
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