Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)
dieser Methode bedienen können, ist auch eine Legende von der »Königinmutter des Westens« überliefert, in der ihr nachgesagt wird, sie habe zur Erlangung ihrer Unsterblichkeit 1000 junge Männer verbraucht.
Abgesehen davon, dass sich in der letzteren Geschichte sicherlich eine Auseinandersetzung zwischen dem patriarchalen Konfuzianismus und dem offeneren Taoismus niederschlägt, muss man sich doch fragen, ob diese Geschichten auf eine reale Möglichkeit hinweisen, dass die Essenz des Partners »geraubt« werden kann. Immerhin wissen wir, dass es sehr wohl möglich ist, auf der psychischen Ebene andere Menschen zu schwächen (in den Tiefenpsychologien spricht man ausdrücklich von »psychischer Energie«), sofern der andere nicht stark genug in seiner Identität ist, um sich dem Übergriff zu entziehen. In der Inneren Kunst wird die große Wirksamkeit des Willens und der Vorstellungskraft betont, und die Weisen der Vergangenheit wiesen nachdrücklich genug darauf hin, dass diese Fähigkeiten ohne die entsprechende ethische Grundlage zur Gefahr für den Adepten selbst, aber auch für andere werden könne.
Allein dass solche Geschichten davon sprechen, dass man auf diese zerstörerische Weise erfolgreich »Unsterblichkeit« verwirklichen könne, weist auf eine Vulgarisierung der taoistischen Ideen hin. Denn unter Unsterblichkeit ist allein eine geistige Verwirklichung zu verstehen, die »Einheit mit dem Tao«, die Überwindung des dualistisch fixierten individuellen Geistes, die alle Vorstellungen einer Trennung von »Ich« und »andere« aufhebt.
Anders als im Taoismus ist der psychische Bezugsrahmen für die Innere Kunst im Buddhismus die Kultivierung des Mitgefühls. Der frühe buddhistische Tantriker Saraha beschreibt dies in einem seiner berühmten »Dohas«:
Ich bin der Herr, die Anderen Feinde –
in seinem Haus weiß das jeder gewiss …
Dieser bin Ich – jener der Andere –
wer auch immer sich diese Vorstellung macht,
der ist auch ohne Fesseln gebunden.
So binde dich los!
Andere oder Ich, verharr nicht im Irrtum!
Alles ohne Ausnahme ist Buddha!
Hier ist der fleckenlose höchste Grund,
das Denken in Eigenwerdung rein.
Das nichtzweiheitliche Denken ist ein vollkommener Baum,
der sich in die dreifache Welt ausbreitet.
Mitgefühl trägt er als Blüten, als Früchte,
sein Name ist: sich kümmern um Andere. [153]
Qi Gong für alte und kranke Menschen
Das Herz von Himmel und Erde –
Wo liegt es verborgen?
Yin und Yang veranlassen es,
Einen Lichtschein auszusenden.
Läuterst du es im Tiegel
Der Offenheit und Leere,
Wird es in alle Ewigkeit
Nicht mehr versiegen. [154]
Die Methode des Yi Qi Gong ist eine wunderbare Möglichkeit für ältere und auch für kranke und körperlich behinderte Menschen, mit ihren »Drei Schätzen«, Jing, Qi und Shen, zu arbeiten. Da Krankheit und Alter (Zustände der Schwäche) viele gemeinsame Aspekte haben, werden sie hier gemeinsam behandelt.
Die geeignetsten Übungen für Situationen, in denen die körperliche Bewegungsfreiheit reduziert, der Geist aber gesund und aktiv ist, wie bei vielen Krankheiten, körperlicher Behinderung oder altersbedingten Beschwerden, sind folgende:
Das Innere Lächeln (sieheS. 145)
Froschübung (sieheS. 153)
Entspannungsübung (sieheS. 147)
Pflege des Qi (sieheS. 192)
Der Kleine Kreislauf (sieheS. 169)
Der Mao-You-Kreislauf (sieheS. 182)
Der Große Kreislauf (sieheS. 184)
Reinigende Dusche (sieheS. 196)
Körperatmung (sieheS. 139)
Dies sind einige der Übungen, die keiner Bewegung bedürfen und sowohl im Sitzen als auch im Liegen praktiziert werden können.
Das Nachlassen der Kräfte im Alter und im Fall der Krankheit löst häufig eine unglückliche, hilflose Stimmung des Ausgeliefertseins aus. Alte Menschen fühlen sich oft aus dem Fluss des Lebens geworfen, ihre zum Teil durchaus noch vorhandenen Energien können nicht mehr zweckvoll (im materialistischen Sinn) eingesetzt werden und stauen sich zusätzlich unter dem Druck der trüben Stimmung. Kranke – vor allem chronisch Kranke – leiden in vielen Fällen nicht nur unter ihrer Krankheit, sondern zudem auch noch unter dem in ihrer Umgebung deutlich oder verblümt ausgesprochenen Vorwurf, ihre Krankheit psychisch selbst verschuldet zu haben – eine traurige Pervertierung der Idee von den psychosomatischen Zusammenhängen.
Für einen Qi-Gong-Praktizierenden sieht das ganz anders aus. Die Qi-Gong-Praxis ersetzt zwar nicht den Arzt, und sie kann auch die
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