Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)
jungen Jahren Kinder zu bekommen, damit sie sich danach dem Energie-Yoga ohne Einschränkung hingeben können: »Es ist am besten, den üblichen Ansprüchen frühzeitig zu genügen; zögere nicht zu lange mit der Weitergabe des Lebens.« [148]
Zu den weiblichen taoistischen Klassikern gehören die berühmten »vierzehn Verse« von Sun Bu-er, der »Unvergleichlichen«, einer taoistischen Meisterin des 12. Jahrhunderts. Sun Bu-er war die Ehefrau eines taoistischen Adepten und Mutter dreier Kinder, als sie im Alter von einundfünfzig Jahren Schülerin des großen Meisters Wang Zhe, einem der Gründer der Nördlichen Schule der Vollkommenen Wirklichkeit, wurde. Sie erhielt den taoistischen Titel »Klarer und Stiller Freier Mensch« – ein Hinweis auch auf die Relativität gesellschaftlicher Vorstellungen, die im Fall des alten China in Frauen ja alles andere als »freie Menschen« sahen.
Sun Bu-ers Gedichte, die sie ausdrücklich als Anleitungen »für Männer«, »für Frauen« oder »für Männer und Frauen« kennzeichnete, geben einigen Aufschluss über unterschiedliche Vorgehensweisen. Da jedoch der Kommentar zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einem Mann, dem taoistischen Adepten Chen Yingning, geschrieben wurde, sind die Interpretationen der von Sun Bu-er verwendeten alchimistischen Symbolik im Hinblick auf spezielle weibliche Übungen nicht gesichert; denn auf persönliche Erfahrungen innerhalb einer weiblichen Traditionslinie (was allein ein präzises Verständnis garantieren würde) konnte er dabei ja wohl nicht zurückgreifen.
Sun Bu-ers Gedicht »Den Drachen unterbrechen« verwendet die Formulierung »Lauf des Folgens und Umkehrens«, und der Kommentar sagt:
Wenn eine Frau … ihrer Fähigkeit, ein menschliches Wesen hervorzubringen, folgt, wird sie schwanger. Wenn sie diese Fähigkeit umkehrt, kann sie … das Elixier wiederherstellen. Doch das ist nicht die einzige Bedeutung von »Folgen« und »Umkehren«. Wenn lebendige Befähigung äußerlich wirksam wird, ist dies »Folgen«; wenn lebendige Befähigung innerlich gespeichert wird, ist dies »Umkehren«. Wenn Lebensenergie abwärtsströmt, um Monatsfluss zu werden, ist dies »Folgen«; wenn Lebensenergie aufwärts strömt und man nicht zulässt, dass sie Regel wird, ist dies »Umkehr«. Daher sagen taoistische Bücher, dass Männer sich im Nichtvergießen des Samens üben, während Frauen sich im Anhalten des Monatsflusses üben. [149]
Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Methoden werden auch für das Sammeln von Qi beschrieben. In der Abhandlung »Spirituelle Alchimie für Frauen«, von der Adeptin Cao Zhenjie 1899 verfasst, heißt es: »Männer richten am Anfang die Aufmerksamkeit auf den Unterbauch, gleich unterhalb des Nabels. Frauen richten am Anfang die Aufmerksamkeit auf die Stelle zwischen den Brüsten.« [150] Wenig später erklärt sie jedoch: »Wichtig ist aber zu verstehen, dass Ausdrücke wie ›unterhalb des Nabels‹ und ›zwischen den Brüsten‹ figürlich gemeint sind. Suche sie nicht in körperlicher Gestalt.« [151]
Den Grund für solche Mystifizierung gibt sie auch gleich an: »Ein Alchimist sagte: Wie kann die persönliche Übertragung auf Papier dargelegt werden? Führe dich nicht durch blinde Mutmaßungen selbst in die Irre.« [152]
Die weibliche Methodik im modernen Qi Gong ist ein noch weitgehend unerschlossener Bereich. Es wird Sache der Frauen sein, durch Forschung und eigene Erfahrung vergessenes Wissen zu erneuern.
Die »Vampire« der wechselseitigen Kultivierung
Die Legenden um den Missbrauch des sexuellen Yoga des Taoismus sind so verbreitet und üben eine solche Faszination aus, dass ihnen zumindest noch ein kurzer Blick gegönnt sein soll.
Viele alte Geschichten erzählen von verblendeten Adepten der »wechselseitigen Kultivierung«, die ihre Partnerin beim Geschlechtsverkehr ihres Jing »beraubten«, um ihre eigene Kraft damit anzureichern. Sie bemächtigten sich des beim Orgasmus der Frau frei werdenden Jing (natürlich musste es sich um junge, gesunde Frauen handeln, die keine Erfahrung mit der Inneren Alchimie hatten) und sogen es in den eigenen Körper ein, um zu einem langen Leben oder gar zur »Unsterblichkeit« zu gelangen. Nach und nach verringerte sich die Lebensessenz der Frau so sehr, dass sie starb. So mancher Adept soll auf diese Weise eine Ehefrau nach der anderen zu Grabe getragen haben.
Obwohl es im Allgemeinen so dargestellt wird, dass nur Männer sich
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