Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
Vom Netzwerk:
den Tag legen. Endlich wurden die Riegel nacheinander mit einem Klacken zurückgezogen, und die Tür ging auf, aber es war nicht Katarina, die zu meiner Begrüßung gekommen war.
    Madame Sparv trug einen mottenzerfressenen Morgenmantel aus blauem Samt, darüber mehrere Schichten Tücher. Die Kleider machten den Eindruck, als würde sie sie bereits eine Woche lang tragen, und ihr muffiger Geruch bestätigte diese Vermutung. Ihr braunes Haar war zu einem Dutt gebunden, der flach am Kopf anlag und vor Öl glänzte, hier und da lösten sich graue Strähnen. Ihr Gesicht war schmaler geworden, es war kreideweiß, aber sie lächelte breit, und ihre braunen Augen waren weit und strahlten mit fanatischer Glut. Ihre immer lebhaften Hände hatte sie vor der Brust zusammengeschlagen. »Emil! Sie sind ja dürr wie ein Gespenst!«
    »Ich war todkrank, Madame Sparv, aber ich werde wieder zunehmen. Was ist mit Ihnen?«
    »Ich war auf einer Pilgerreise, Emil, einer heiligen Wallfahrt. Einer fruchtbaren. Kommen Sie rein! Kommen Sie rein!« Sie zog mich am Arm hinein, mein Atem bildete noch immer Wölkchen vor meinem Gesicht. Das düstere Foyer wurde nur von dem bisschen Tageslicht erhellt, das durch die dicken Vorhänge fiel, stellenweise waren sie abgefallen. Ein schwacher Geruch nach verdorbenem Essen, getragenen Strümpfen und Nachttöpfen lag in der kalten Luft.
    »Wo ist Katarina? Hat sie geheiratet und ist nicht mehr aus ihrem Hochzeitsbett herausgekommen?«
    »Was? Oh, Katarina. Ja, ich habe ihr gesagt, dass sie heiraten soll. Die Acht waren an ihrem Platz, und ich habe sie … Ich erinnere mich nicht mehr, wohin ich sie geschickt habe. Sie hat geweint. Daran erinnere ich mich noch. Und sie hat gesagt, sie wolle zurückkommen. Ich müsse ihr nur eine Nachricht schicken.«
    »Das werden Sie wohl tun, sobald Sie sich erinnern, wo sie ist. Sie können keine Gäste empfangen, wenn das Haus so aussieht.«
    »Ich werde keine Gäste mehr haben, Emil. Ich brauche sie nicht mehr.« Sie ging durch die Diele, ich folgte ihr. Vor einer Anrichte aus Nussholz blieb sie abrupt stehen und zog mit dem Finger ein Quadrat und einen Kreis in den Schmutz. Staubflusen tanzten in dem Lichtstrahl, der durch ein Fenster hereinfiel. Sie besah sich eine Weile diese Formen und schien vergessen zu haben, dass ich hier war.
    »Aber Sie brauchen Menschen, um zu überleben«, sagte ich schließlich.
    Sie sah mich mit der Fröhlichkeit einer Geistesgestörten an. »Dass ich das aus Ihrem Mund höre!« Sie wischte die Zeichnung weg und schüttelte mir die Hand, als würden wir uns zum ersten Mal treffen. »Würden Sie mir bei einem Glas Weinbrand Gesellschaft leisten, mein Herr?«, fragte sie ernst. »Im großen Saal dürfte noch eine offene Flasche sein.«
    »Das würde uns beiden sicherlich guttun«, sagte ich und ging zum großen Spielsaal. Als ich die Türen öffnete, schlug mir ein Schwall so kalter Luft entgegen, dass mir die Augen tränten und die Lungen brannten. Die Fenster standen offen, Schnee war hereingeweht und hatte sich als weißer Puder in die Bodenvertiefungen gelegt. Stühle waren gekippt, Gläser zerbrochen, Wasserkaraffen waren vom Eis zerplatzt. Neben dem Kamin standen Nachttöpfe von sieben oder acht Tagen in einer Reihe, sie waren voll, dankenswerterweise aber gefroren. Ich erspähte eine Flasche Armagnac auf einer Anrichte und nahm sie mit einer Leinenserviette, die ich vom Boden aufhob, in die Hand.
    Als ich in die Diele zurückging, war Madame Sparv weg, aber ich sah hinten in ihrem Schlafzimmer Licht flackern. Der Ofen brannte, der Raum war wärmer und roch zum Glück scharf nach Wäschestärke und Kampfer. Auf dem Nachttisch brannte eine Kerze, die sanft den Körper beleuchtete, der flach auf dem Bett lag. Madame Sparv sah aus wie ein Bischof auf dem Totenbett. Sie trug ein frisches weißes Nachthemd aus Leinen und einen passenden Morgenmantel, der verschwenderisch mit Spitze besetzt war, sowie eine Nachthaube, verziert mit Satinbändern und aufgestickten Schneeglöckchen. An den Füßen trug sie exquisite weiße Bettschuhe, die mit Ripsband eingefasst und mit Vögeln und Zweigen bestickt waren.
    Ich zog einen Stuhl mit gerader Rückenlehne ans Bett und setzte mich, aber sie schwieg weiter.
    »So feine Nachtwäsche!«, rief ich aus.
    »Vor langer Zeit hatte ich eine Vision – ich würde im Bett sterben«, sagte sie sachlich, ihre Augen waren noch immer geschlossen. »Und ich möchte gut angezogen sein, wenn man meine Leiche

Weitere Kostenlose Bücher