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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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ich das Frühstück auf ein angelaufenes Silbertablett, das in einem Regal stand, und ging zu Madame Sparv zurück.
    Es sah so aus, als wäre während meiner Abwesenheit ein Spätwintersturm durchs Zimmer gefegt und hätte Madame Sparvs Papiere durcheinandergeweht. Sie war vom Bett aufgestanden und saß nun an einem kleinen Nachttischchen im Lichtkreis der Kerze. Sie konzentrierte sich auf ein Blatt Papier mit Zeichnungen und murmelte schmatzend und seufzend vor sich hin. Ich war völlig entnervt.
    »Madame Sparv, Sie müssen essen, oder der Sensenmann setzt sich gleich zu Ihnen an den Tisch«, sagte ich in Frau Murbecks Tonfall, wenn sie ihren Sohn ausschimpfte. Mit zitternden Händen goss ich Tee ein, ich klapperte mit den Tassen und verschüttete Tee auf die Unterteller. Dann gab ich fünf Zuckerstücke in Madame Sparvs Tasse und reichte sie ihr. »Die Schränke sind fast leer, essen Sie in der
Schwarzen Katze
?«, fragte ich.
    Madame Sparv hob die Tasse und atmete den Dampf ein. »Ich esse gar nicht. Das unendliche Oktavo ringt den Körper und dessen Bedürfnisse nieder.« Sie setzte die Tasse wieder ab, ohne getrunken zu haben. »Ich möchte, dass Sie das Oktavo so sehen wie ich, Emil. Ich habe es auf jede nur erdenkliche Weise aufgezeichnet.« Sie stand auf, tippelte durchs Zimmer, hob einige Papiere auf, ließ andere fallen und klopfte den Stapel immer wieder auf dem Tisch zusammen. »Das Oktavo hat Verbindungen in viele Richtungen, sehen Sie? Aber in der Mitte von allem steht der König von Frankreich. Sehen Sie hier. Hier!« Sie warf mir eine Handvoll Blätter zu und mischte den Rest wieder und wieder wie ein großes Kartendeck. Die Blätter waren mit Achtecken in phantasievollen Kombinationen bedeckt – als Quadrate, Rechtecke, Pyramiden, Kreuze –, alle möglichen geometrischen Formen waren in verrückten Diagrammen dargestellt. Als ich den Stapel durchblätterte, hob Madame Sparv die restlichen Blätter auf und sagte aufgeregt: »Es spielt keine Rolle, wie Sie die Oktavos gruppieren. Bei dem Kreuz hier sehen Sie den französischen König im Querbalken. Beim Kompass steht er im Mittelpunkt. Alle anderen Königreiche strahlen von ihm aus. Ah, die Spirale, die Quelle. Es gibt so viele Formen, Emil. Warum können Sie das nicht sehen? Das ist die Göttliche Geometrie, und welche Form wir auch wählen, der französische König ist und bleibt der Schlüssel. Er ist die Mitte der Mitte. Wir kreisen um ihn wie Planeten um die Sonne, und im Zentrum des Universums der Könige steht der König von Frankreich. Das ist die Welt – jetzt und immerdar. Wenn der französische König stürzt, stürzt unsere Welt mit ihm. Und wenn er nun seine gottgegebene Bahn verlässt, werden wir alle zerstieben.« Sie ließ die Diagramme sinken und kratzte sich mit beiden Händen in plötzlicher Wut am Kopf – ob über ihre verrückten Gedanken oder unzählige Läuse, wusste ich nicht.
    »Vielleicht gibt es eines nicht allzu fernen Tages gar keine Monarchen mehr«, sagte ich und hob die Blätter auf.
    Sie erstarrte und nahm ihre Tasse, die sie so ungeschickt drehte, dass ein Spritzer Tee über die Vorderseite ihres Nachthemds lief. »Die Welt ist noch nicht bereit, sich selbst zu regieren.«
    »Sie halten wohl wenig von den Menschen, Madame Sparv.«
    Sie dachte darüber nach und starrte eine Weile in das schwindende Blau des Märzhimmels. »Ich habe sehr viel mehr nüchterne Zeit in ihrer Gesellschaft verbracht als Sie. Menschen wollen Anführer. Sie brauchen Anführer!«
    Ich merkte an, dass der Wunsch nach Reformen durch ganz Europa schwappte und Gustav selbst die alten Sitten ändern wollte. Madame Sparv schüttelte den Kopf. »Es spielt keine Rolle, was Sie oder ich denken. Das Oktavo bildet sich von selbst heraus, und irgendjemand wird herrschen, mit oder ohne Krone. Die größte Hoffnung unseres Landes ist der französische König.« Sie stieß den Rest der Blätter von ihrem Schoß auf den Boden und murmelte vor sich hin: »Der französische König. Der französische König.«
    Ich nahm ihr die Tasse aus der Hand und schenkte ihr Tee nach, gemächlich gab ich Zuckerstücke hinzu und ließ den Löffel kreisen, sodass es uns beide beruhigte. Sie nippte an ihrem Tee, und wir saßen eine kleine Weile schweigend da. »Sie müssen essen, Madame Sparv«, sagte ich liebevoll. »Sie werden Kraft brauchen, wenn Sie einen Thron stützen wollen.«
    Sie kicherte über meinen Scherz wie die Lumpensammler am Järntorget, dann fing sie an

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