Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
Vom Netzwerk:
findet.«
    »Sind Sie krank, Madame Sparv? Soll ich einen Arzt rufen? Oder einen Priester?« Ich fühlte ihren Puls.
    Sie setzte sich auf und packte meine Hand. »Ich bin nicht krank, Emil. Ich gehe jeden Abend so ins Bett, denn jede Nacht könnte meine letzte sein. Doch heute Abend ist tatsächlich etwas zu Ende: Mein Oktavo ist vollständig, und das Ereignis ist im Gang.« Sie erzählte, dass es zu Epiphanias angefangen habe, sich zu manifestieren, als sie endlich auf ihren Lehrmeister aufmerksam geworden war. Ihr Besuch in der Oper in einer aufwendigen Robe hatte ihr die Tür zu Gustav geöffnet, er war zum letzten Akt erschienen und hatte sie in der Königsloge empfangen. Er hatte sie zum Reichstag nach Gävle eingeladen, wo sie sich beraten wollten. »Die Schlittenfahrt dauerte zwei lange Tage, wir fuhren durch die reine, weiße Landschaft, was die Hellsichtigkeit begünstigte. Ich hatte ständig Visionen. Das Nordlicht tanzte in Mustern, die ich jede Nacht entschlüsselte. Der Wind in den kahlen schwarzen Zweigen flüsterte mir von der unendlichen Acht zu. Aber, Emil, nach dieser Fahrt durch die mystische Landschaft wurde meine Entschlossenheit, meinen Lehrmeister aufzusuchen, auf die Probe gestellt. Täglich ging ich in die eiskalten Kammern, wo die Delegierten tagten, vorbei an Eiszapfen aus Erbrochenem, die an den Fenstern der Gasthäuser hingen. Außer Prostituierten und Dienerinnen waren nur wenige Frauen zugegen. Ich wurde verachtet und angespuckt, man drohte mir mit Arrest. Die Straßen waren voller Soldaten, voller Gerüchte über ein Attentat. Ich wurde verdächtigt und festgehalten. Aber schließlich sah er mich. Er sah mich, und wir waren wieder vereint.« Sie rückte ihre Haube zurecht und wischte sich die Augen, Tränen des Glücks rannen aus ihren Augenwinkeln. »Gustav hat versprochen, bis zum Ende durchzuhalten.«
    »Welches Ende?«
    »Das Ende meines Oktavos. Mein Schlüssel ist positioniert, er soll die Tür öffnen. Gustav hat Hans Axel von Fersen mit gefälschten Diplomatenpapieren, die ihn als Generalbevollmächtigten Portugals ausweisen, von Brüssel nach Paris berufen. Von Fersen wird den Tuilerienpalast betreten und mit dem König und der Königin von Frankreich wieder herauskommen.«
    »Das klingt bei Ihnen wie ein Kinderspiel«, sagte ich, »selbst wenn von Fersen dabei sein Leben riskiert.«
    »Von Fersen ist der perfekte Schlüssel. Liebe öffnet alle Türen.«
    »Tut sie das, Madame Sparv?« Ich stand auf und schloss die Tür, damit die warme Luft im Raum blieb. »Und was ist mit den Bedrohungen, denen Gustav hier in der Stadt ausgesetzt ist – den Patrioten, Herzog Karl, der Uzanne? Die Gerüchte über ein Attentat verstummen nicht, und ich weiß von einem Komplott, das Erfolg haben könnte, bevor von Fersen überhaupt in Paris ankommt.«
    »Umso dringender ist die Sache«, sagte sie leise. »Sie müssen die letzten Ihrer acht Personen finden und sie in Position bringen. Dann kommt das größere Oktavo in Gang.« Sie lehnte sich wieder zurück und schloss die Augen. »Begreifen Sie denn immer noch nicht, wie unsere Oktavos ineinandergreifen? Das Stockholm Oktavo wird alles verändern.«
    Nach einer Weile der Stille dachte ich, sie wäre eingeschlafen. Ich schürte den Ofen, ging in ihre Schreibstube und schrieb einen Brief an Frau Murbeck, in dem ich sie aufforderte, umgehend das Hausmädchen mit einer herzhaften Suppe und Schwarzbrot vom Gasthaus an der Ecke in die Gråmunkegränd zu schicken. Einem Jungen, der durch den Hof ging, pfiff ich zu und beauftragte ihn, den Brief gegen einen Skilling zu überbringen, was er gern tun wollte. Dann ging ich in die Küche. Das Wasserfass war voll, und das Wasser roch ausreichend frisch, um es zu trinken. Katarina hatte eine Öllampe, einen Zündstein und Holz für ein kleines Feuer im Herd zurückgelassen. Ich zündete die Lampe an und stellte den Kessel auf die Herdplatte. Die Wärme und das Licht ließen die Angst schmelzen, die mir Schultern und Nacken verkrampft hatte. Teekanne, Tassen, Untertassen, Löffel und Teller fand ich problemlos, denn die Küche war so ordentlich wie eine Schiffskombüse. Die Tür der Speisekammer war unverschlossen, ich fand Teeblätter, Zucker, einen Musselin-Beutel mit Kastanien in einer verbeulten Blechdose, einen versiegelten Topf mit Kränbeerenmarmelade, und in einer Schublade lagen, in Papier eingeschlagen, altbackene Brotscheiben. Als der Tee gezogen hatte und die Kastanien geröstet waren, stellte

Weitere Kostenlose Bücher