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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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schmutzigen Tratsches, der in der Zeitung
Nya Posten
unter der Schlagzeile »Ein freudiges Leben« erschienen war. »Madame?« Carlotta wandte sich an die Uzanne, die diese Entscheidung treffen musste.
    Frau von Hälsens Augenbraue zeigte deutlich, dass sie nicht die Absicht hatte, einen Tisch mit Carlotta und der Uzanne zu teilen, aber nun saß sie in der Falle. Würde sie gehen, wäre das ein schlimmer Affront; wollte sie aber bleiben, müsste sie erst fragen. Die Uzanne, die gesellschaftlich höher stand, nickte, sie setzte sich auf den Stuhl rechts von Frau von Hälsen und tauschte Höflichkeiten mit ihr aus. Erst als Frau von Hälsen ihren Fächer öffnete, machte die Uzanne ein gespanntes, neugieriges Gesicht.
    »Was für ein exquisites, schönes Exemplar, Frau von Hälsen. Erzählen Sie mir davon.« Ihre Stimme war weich und warm.
    Frau von Hälsen legte ihren Fächer sanft auf den Tisch. »Er heißt Eva.« Eva war mit vergoldeten Elfenbeinstäben gefertigt, das Blatt bestand aus weichster weißer Schwanenhaut und war kunstvoll mit einer verschnörkelten Kartusche bemalt, die einen üppigen Garten einrahmte. Dichte tropische Bäume, die mit reifen roten und purpurnen Früchten vollhingen, beschatteten Rabatten mit farbenprächtigen Blumen. Der Himmel war wolkenlos und strahlend blau. Ein Pfau stand am Rand, er schlug ein Rad, das voller Augen war. Im Schatten des Hains sah man die vagen Umrisse einer Frau neben einem Zweig, von dem dicke Ranken herabhingen. Eva war nicht nur ein schönes Exemplar von Wertarbeit aus dem Paris der Jahrhundertmitte, sie hatte darüber hinaus auch einen Charakter, den der Kenner als »Versuchung« definieren könnte. So einen Fächer hatte die Uzanne in ihrer umfangreichen Sammlung noch nicht.
    »Für so einen Fächer würde ich einiges geben«, sagte sie.
    »Ich habe dafür bereits einiges gegeben«, antwortete Frau von Hälsen, schloss den Fächer langsam und legte ihn auf ihren Schoß.
    »Welches Spiel ist Ihnen genehm, Frau von Hälsen?«, fragte die Uzanne höflich.
    »Boston Whist, Madame. Gibt es auch andere?« Frau von Hälsen nahm eines der beiden Kartendecks vom Tisch und reichte es der Uzanne. »Madame gibt.«
    »Haben wir einen vierten Spieler?«, fragte Carlotta und drehte sich zu mir. Ich hatte einen Platz an einem nahen Fenstersitz gefunden, von dem aus ich die Partie beobachten konnte, und schüttelte den Kopf. Ich wollte in meiner Position als ungeladener Gast nicht auffallen.
    »Meine junge Nichte, Fräulein Fläder.« Frau von Hälsen winkte einem hübschen flachsblonden Mädchen zu, das sich der Uzanne gegenüber an den Tisch setzte; es hatte ein rundes Gesicht, das vor Hitze und vom Punsch gerötet war. Die Nichte machte den Mund nie weiter auf als einen Spalt, und wenn, dann hielt sie die Hand davor, damit man nichts sah – vielleicht fehlten ihr ein paar Zähne.
    Alle zweiundfünfzig Karten wurden ausgeteilt, das ergab vier Blätter mit je dreizehn Karten. Der Spieler links des Gebenden spielte aus, die anderen bedienten. Die höchste Karte stach, wer die meisten Stiche erzielte, gewann die Runde. Die Etikette beim Boston Whist verbot zwar jede Äußerung während des Spiels, aber es war erheiternd, wie viele Menschen ein Gesicht machten, das ihnen die Zunge ersetzte – Carlotta war dafür ein hervorragendes Beispiel: Wenn sie dachte, sie hätte ein gutes Blatt, blähten sich ihre Nasenlöcher aufs Betörendste; das war zwar selten der Fall, dennoch war sie eine unverbesserliche Optimistin. Frau von Hälsens Augenbrauen waren Signalflaggen, deren Flattern noch von dem Holzkohlestift unterstrichen wurde, den sie für den Abend aufgetragen hatte. Fräulein Fläder stieß immer ein fürchterliches, beschwipstes Kichern aus, unterbrochen von einem Schluckauf, den sie zu unterdrücken versuchte, indem sie die Lippen zusammenpresste. Sie verlor eine ansehnliche Summe, es schien sie aber keinen Deut zu scheren. Doch als die Uzanne die letzte ihrer dreizehn Karten auf den Tisch legte, war ihr hübsches Gesicht reglos wie griechischer Marmor. »Schon wieder übertrumpft«, seufzte sie.
    Die Uzanne verlor ständig, keine großen Summen, aber genug, um Frau von Hälsen in Sicherheit zu wiegen. Da stellte ich fest, dass die Uzanne eine echte Spielerin war, die ihren Gewinn plante.
    Allem voran hatte die Uzanne einen Sinn für die Tischrunde, denn Spielen ist immer politisch. Durch ihre Fingerfertigkeit mit dem Fächer ging sie auch gewandt und anmutig mit den Karten

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