Das Stockholm Oktavo
der Reisekutsche. »Den kenne ich«, sagte sie leise zu sich selbst.
»Ach ja?«, fragte die Uzanne mit herablassender Skepsis. »Er ist alt. Und aus Frankreich.«
»So wie ich«, sagte Madame Sparv leichthin und legte den offenen Fächer wieder zu den anderen in die Mitte des Tischs.
»Machen wir weiter?«, fragte Frau von Hälsen, die unbedingt ihre Eva wiederhaben wollte.
Das Spiel ging weiter. Wie versteinert und mit halbgeschlossenen Augen saß Madame Sparv da. Nur ihre Hände bewegten sich, wenn sie ausspielte. Sie brauchte jedes bisschen Geschick, denn bei den bereits ausgeteilten Karten konnte sie keine verschwinden lassen, und sie konnte auch nicht durch gezieltes Abheben manipulieren. Die beiden nächsten Stiche gingen an die Uzanne, der vierte an Madame Sparv. Frau von Hälsen war schweißgebadet, sie spürte, dass ihre Glückssträhne nachließ. Ihre Augenbrauen verwoben sich ständig in Sorge. Zwei Stiche gingen an sie, aber ihr Gesicht war ein Spiegel der Unruhe. Die Uzanne behielt ihren ausdruckslosen Blick bei, sie war sich ihrer Überlegenheit sicher. Carlotta indes versuchte, ihr Gähnen zu kaschieren, und wedelte mit ihrem Blatt wie mit einem Miniaturfächer, sodass jeder ihre Karten sehen konnte. Irgendwie kam auch sie an einen Stich, doch die nächsten vier Stiche gingen an Madame Sparv und die Uzanne. Beide hatten nun je vier Stiche.
»Sie spielen, als würde Ihre Zukunft davon abhängen, Madame Sparv«, sagte die Uzanne leicht erstaunt, denn sie erwartete, dass ihre Gastgeberin gegen sie, als die gesellschaftlich Höherstehende, gütigerweise verlor.
Madame Sparv sah sie nicht an, sie starrte auf das offene Blatt der Kassiopeia. »Nicht nur meine Zukunft, Madame, unser aller Zukunft.«
»Ich dachte, die Wahrsagerei sei für heute Abend beendet«, versetzte die Uzanne kühl. »Lesen Sie etwa auch unsere Karten?«
»Oh, das ist ja so geheimnisvoll!«, lallte Carlotta.
»Still, Sie betrunkene Kuh!«, befahl die Uzanne.
Der Schreck über diese Bemerkung schwang durch den Raum und zog neue Zuschauer an den Tisch. Doch das Entsetzen wich gleich wieder aus Carlottas Blick, denn sie wusste, dass eine Erwiderung unangebracht war. Ich jedoch beschloss, dass die Uzanne dieses Spiel nicht gewinnen durfte, koste es, was es wolle. Da nur noch zwei Stiche zu machen waren, blieben wenig Möglichkeiten. Ich ging zu einem leeren Tisch und nahm ein Deck zur Hand, war aber nicht sicher, ob ich genug Zeit hätte, die Karte zu finden, die ich brauchte, und noch weniger, ob ich sie ins Spiel schmuggeln konnte. Vorsichtig ging ich um den Tisch herum und konzentrierte mich auf die Karten, die die Damen noch auf der Hand hatten. Carlotta hatte nichts, Frau von Hälsen könnte noch einen Stich machen, aber wenn die richtigen Karten kämen, würde die Uzanne trumpfen und den letzten Stich mit einer Bildkarte machen. Madame Sparv war in keiner guten Position. Ich müsste mir Frau von Hälsens Hilfe sichern, um die Karte zu platzieren. Ich gab Madame Sparv ein Zeichen, dass sie Pik ausspielen sollte.
Sie spielte die höchste Karte aus, die sie noch auf der Hand hatte, den Pikbuben. Carlotta legte die Herzdrei, die Uzanne zückte lächelnd die Pikdame. Frau von Hälsen lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Wenn sie wollte, könnte sie den Stich machen, aber sie konnte auch an Gunst gewinnen, wenn sie mit einer anderen Farbe bediente und der Uzanne das Spiel schenkte. Ich ging in den hinteren Teil des Raums und sang, ziemlich schlecht, ein paar umgedichtete Verse aus Carl Michael Bellmans
Elegie auf eine Schlägerei in Gröna Lund
– als verzweifeltes Zeichen an Frau von Hälsen, sich mit der Uzanne als Verliererin auf dieselbe Stufe zu stellen.
»Vertragt euch, Schwestern, alle!
Denn die Vernunft gebeut’s.
Tuut-tuut. Dem Schlag ins Kreuz
Entgeht in keinem Falle,
Die selbst als Erste schlug.
Tuut-tuut … Schluss … genug!«
Viele Zuschauer lachten und fielen ein, bald waren auch Herzog Karl und seine Entourage auf den Beinen. Die Uzanne schloss angewidert die Augen und sagte: »Diese Melodie ist von Händel gestohlen.«
Ich ging zu Madame Sparv und streifte ihre Schulter, als ich einem anderen Gast die Hand schüttelte. Dabei schob ich die Karte zwischen ihren Oberarm und ihren Brustkorb, ein plumper Trick, der im momentanen Trubel unterging. Wenn überhaupt jemand unbemerkt diese Karte an sich nehmen konnte, dann Madame Sparv.
Ich kehrte wieder an meinen Tisch zurück, lachte und scherzte mit den
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