Das Stockholm Oktavo
einer Geheimbotschaft oder einen Holzsplitter enthalten, der mit einem betörenden Parfüm getränkt ist oder auch … nun ja, mit etwas Gefährlicherem.«
Die Damen lachten nervös. Die Uzanne lächelte Frau von Hälsen zu und legte Kassiopeia mit der Vorderseite nach oben auf den Tisch. »Wollen wir?«
Frau von Hälsen spürte den Druck, der Uzanne zum Gefallen sein zu müssen, aber sie spürte auch ihr falsches Vertrauen auf ihre Glückssträhne, das mit Punsch geölt worden war. Sie nahm das zweite Deck in ihre Wurstfinger und teilte aus. Sie spielten nur eine Runde. Die Uzanne machte den Stich, da wurde Fräulein Fläder plötzlich ganz still, alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie entschuldigte sich abrupt.
»Was ist denn?«, fragte Carlotta. »Wir haben noch zwölf weitere Stiche zu machen, die Einsätze liegen auf dem Tisch.«
»Es würde mir gar nicht gefallen, Ihre Partie zu Ende gehen zu sehen, bevor sie richtig angefangen hat.« Madame Sparv trat aus der Dunkelheit am Rande des Raums und stellte sich an die Tischkante. »Darf ich?«
Es war nicht ungewöhnlich, dass Madame Sparv spielte – aber am Tisch mit einer Dame vom gesellschaftlichen Rang der Uzanne, die zudem eine politische Gegnerin war, das war gewagt. Zuerst dachte ich, Madame Sparv wolle einfach nur ihre Gäste glücklich machen, aber sie hatte etwas anderes im Sinn, denn sie rang die Hände, als fürchtete sie um ein Menschenleben.
»Unsere Gastgeberin!«, säuselte Frau von Hälsen mit gespielter Begeisterung. Carlotta wurde schlagartig nüchtern und hielt ihre Karten vor sich wie einen Schild. Beide warteten auf die Reaktion der Uzanne, die kurz und ausdruckslos aufsah.
Madame Sparv langte in eine Tasche an ihrer Taille und zog einen elfenbeinernen Brisé-Fächer heraus. Sie legte ihn offen in die Mitte des Tischs. Von vielen Jahren des Gebrauchs hatte das Elfenbein eine warme, gelbe Patina. Der Fächer war zwar so klein, dass er einem Kind gehört haben könnte, aber die Elfenbeinschnitzereien waren so hochwertig, dass er einer Prinzessin anstand, und die lange rote Seidenquaste war mit Goldfäden durchwirkt. »Ein Schatz aus dem Fernen Osten. Er wird die Einsätze versüßen.«
Das Gesicht der Uzanne hellte sich vor Gier auf. Kinderfächer waren äußerst rar. »Bitte setzen Sie sich.«
Die Spielerinnen nahmen ihr Blatt wieder auf und bereiteten sich auf die nächste Runde vor. Niemand sah das kaum wahrnehmbare Nicken, das Madame Sparv über die Köpfe der anderen Spieler hinweg in meine Richtung sandte. Sie forderte mich auf, das Spiel mit einem »Schubs« zu lenken. Ich beobachtete Madame Sparvs Hände. Zeige- und Mittelfinger ihrer linken Hand lagen an der Rückseite der Karten – zwei Spielerinnen in der Runde: Die Uzanne sollte verlieren. Sie hatte die ganze Nacht über ständig verloren, nun aber strahlte sie eine Hitze aus, die jeder geübte Spieler spüren konnte: Auf dieses Spiel hatte sie gewartet, und sie wollte es gewinnen. Ich erhob mich von meinem Platz und näherte mich dem Tisch.
Madame Sparv fing meinen Blick auf und neigte den Kopf zu den Fächern. Wenn möglich, wollte sie die Uzanne nicht nur dazu bringen, zu verlieren, sondern die Einsätze auch in eine bestimmte Richtung lenken. Madame Sparv hob die Karten an ihre Lippen. Dieses Zeichen hatte ich bislang nur ein Mal gesehen: Sie wollte gewinnen. Das war eine doppelte Gefahr; eine Schiebung ihrerseits war in jedem Spiel fragwürdig, aber die Uzanne war überdies scharfsinnig und nüchtern.
Madame Sparv legte ihre Karten verdeckt auf den Tisch. »Nach der Regel darf ein Spieler den letzten Stich einsehen, nicht wahr?«
Die Uzanne reichte ihr die vier Karten, Madame Sparv studierte sie kurz und konzentriert und gab sie zurück. »Und darf ich auch die Einsätze sehen?«, fragte Madame Sparv höflich. Zuerst besah sie sich den englischen Papierfächer und gab ihn Frau von Hälsen. »Ich habe den Platz Ihrer Nichte eingenommen und deren Einsatz durch meinen eigenen Fächer ersetzt, sie ist nicht mehr länger im Spiel. Das sind die Hausregeln, ich hoffe, Sie sind damit einverstanden.« Frau von Hälsen nickte. Madame Sparv betrachtete den italienischen Fächer, dann nahm sie Frau von Hälsens Eva. »Wie der erste laue Juniabend in einem geheimen Garten. Der Verlust der Unschuld«, sagte sie. Frau von Hälsen nickte, und ein Anflug von Sorge huschte über ihre zusammengezogenen Augenbrauen. Dann nahm Madame Sparv Kassiopeia in die Hand und starrte auf das Bild
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