Das Stockholm Oktavo
Pause entstand, dann klatschten die Gäste mit höflicher Begeisterung. Nordén schien über alle Maßen erleichtert und verbeugte sich in alle Richtungen. Doch sein Augenblick des Ruhms war zerstört, als eine der jungen Damen, eine saftige Aprikose von einem Mädchen, dessen flachsblondes Haar zu einer unmöglichen Frisur aufgetürmt war, den Fächer hoch in die Luft hob.
»Madame Uzanne, bitte, wann werden wir die Fächersprache lernen?«
Die anderen Mädchen raunten zustimmend.
Madame Uzanne schloss ihren Fächer und zog ihn durch die Hand, dabei stöhnten einige der älteren Damen auf. Diese Geste war offensichtlich kein Kompliment. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie für fortgeschrittener gehalten habe, als Sie es sind. Wir werden ganz am Anfang beginnen müssen. Bestimmt gibt es hier eine junge Dame, die die Grundregeln beherrscht und mir bei einer Vorführung assistieren kann.«
Kein Mädchen regte sich. Dann rührte sich an der Fensterseite etwas, man hörte Stoff rascheln, geflüsterte Ermutigungen, und dann war von der Sitzbank Mutter Plomgrens Stimme zu vernehmen: »Hier kommt jemand zu Ihnen, Madame – eine Hand mit einem Faltfächer, der in der Königlichen Oper eine Rolle gespielt hat. Fräulein Anna Maria Plomgren, meine Tochter, wie ich mit Stolz sagen kann, und ein Schatz.« Anna Maria war schon aufgestanden. Ihr Gesicht glühte vor Aufregung, ihre Augen leuchteten unter niedergeschlagenen Lidern. Ich hatte ihr Feuer unterschätzt.
Sie ging zur Uzanne, machte einen Knicks und wartete, dabei wippte sie vor Vorfreude auf ihren Absätzen, bis sie den missbilligenden Blick der Uzanne auffing. Sie erstarrte wie ein zugefrorener See – bis auf ihre Finger, die eifrig den weichen Stiel ihres Fächers drückten.
»Ich würde gern sehen, wie Sie Ihren Fächer öffnen, Fräulein Plomgren, und dann zeigen Sie mir an, dass Sie bereit sind, eine Nachricht zu empfangen«, wies die Uzanne sie an. Das war eine simple Bitte, ein grundlegendes Manöver, das alles sagen würde. Anna Maria ließ mit einer geübten Drehung der Hand den Fächer aufschnappen, nahm ihn in die linke Hand und hielt ihn offen und ruhig genau über ihr Herz. Jeder Herr im Raum war von der Lektion nun so hingerissen wie die Mädchen, einen Dolmetscher aber brauchte es nicht. Anna Maria sprach ihre eigene Sprache. Ich beugte mich vor und scharrte mit dem Stuhl, in der Hoffnung, dass sie zu mir herüberblickte, aber sie sah nur der Uzanne ins Gesicht.
»Wann werden Ihrer Meinung nach wohl Erfrischungen gereicht?«, fragte die Uzanne.
Anna Maria schloss ihren Fächer bis auf drei Stäbe. Sie sah den Fächer nicht einmal an, sondern blickte der Uzanne mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen direkt in die Augen.
»Und wie zeigen Sie an, dass Sie neben mir sitzen wollen?«
Anna Maria hob, noch immer mit der linken Hand, den teilweise offenen Fächer und verdeckte die untere Hälfte ihres Gesichts, ihr Lächeln war noch in ihren Augen zu sehen.
»Nun möchte ich, dass Sie sich verabschieden.«
Anna Maria schloss langsam den Fächer, hielt ihn am Rand des Blattes und berührte mit dem Stielring ihre Lippen. Diese Geste hatte die Uzanne weder erwartet, noch hatte eine Frau ihr jemals diese Botschaft gesandt: Küss mich. Die Augen der Uzanne weiteten sich kaum merklich, helles Rosa stieg ihr unter dem Puder in die Wangen. Sie schien wie gelähmt. Der Salon brach in lobenden Applaus aus, nicht zuletzt schrie Lars immer wieder:
»Brava!«
Die Uzanne fasste sich wieder. »Beachten Sie den Lohn fleißigen Übens, meine Damen, und die Wirkung eines entwaffnenden Schlags. Machen Sie weiter in Ihrer Vorführung, Fräulein Plomgren, ich sehe zu.«
Die Mädchen rutschten auf ihren Stühlen und reckten die Hälse, um jede Bewegung Anna Marias genau mitzubekommen. Sie ging gelassen zwischen ihnen hindurch, beantwortete mit leichter Herablassung Fragen, korrigierte Finger mit wenig Kraftaufwand. Lars schlich hinter ihr her wie ein Lakai, bereit, ihr zu Diensten zu sein. Bald waren alle Schülerinnen auf den Beinen, übten, plapperten, sandten Nachrichten an die verschiedensten Herren aus. In diesem Durcheinander erschien Johanna mit argwöhnischem Blick, sie umklammerte ihren Fächer wie einen Prügel. Sie erkannte eine Rivalin, wenn sie eine sah. Die Uzanne beobachtete Anna Maria genau. »Fräulein Plomgren, Sie gehören nach Gullenborg. Ich würde Sie gern als meine Assistentin einstellen für die wöchentlichen Übungsstunden, die wir zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher