Das Stonehenge - Ritual
da einfach nicht helfen.«
Sie setzt ein derart strahlendes Lächeln auf, dass er fast erschrickt. »Sie werden uns helfen«, entgegnet sie mit eisiger Kälte, »glauben Sie mir.«
16
Stonehenge
Die kostbaren Steine zu beschützen bedeutet in erster Linie, die Leute davon abzuhalten, auf ihnen herumzuklettern oder sie in irgendeiner Weise zu verunstalten. Zu diesem Zweck hat die Organisation »English Heritage«, die für Stonehenge verantwortlich ist, Zäune, Verkehrsabsperrungen und Seile angebracht, und lässt Besucher nur zu besonderen Gelegenheiten oder mit schriftlicher Genehmigung in die von den Seilen begrenzten Bereiche der Steine.
Die staatlich finanzierte Behörde macht ihre Sache gut, hat aber keine Ahnung davon, wie hingebungsvoll einige der Sicherheitsleute ihrer Vertragsfirmen sich um die Steine kümmern. Sean Grabb und seinesgleichen sind höchst engagierte Mitglieder der Jünger der Geheiligten. Lange nachdem ihre bezahlten Schichten vorüber sind, passen sie immer noch auf die kostbaren Steine auf.
Der fünfunddreißigjährige Grabb ist einer jener leicht übergewichtigen, zupackenden Männer, die gerne die Ärmel hochkrempeln und ihre Aufgaben zügig erledigen. Für die ihm unterstellten Leute hat er immer ein gutes Wort übrig. Er leitet eine Mannschaft von Spähern, die Stonehenge ständig observieren. Dreihundertsechzig Grad, vierundzwanzig Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. Dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr.
Er und seine Späher hören nie auf zu spähen. Zum Teil geschieht es ganz offen während der von der Denkmalpflege bezahlten Schichten, zum Teil ohne Kenntnis der Behörde, durch winzige Kameras mit hoher Reichweite, die strategisch geschickt in der Landschaft verteilt sind.
Grabb ist nun schon seit zehn Jahren Späher. Innerhalb der Zunft als Serpens bekannt, folgt er den ausgetretenen Fußspuren seines Vaters, Großvaters und sämtlicher anderer zurückverfolgbarer männlicher Vorfahren väterlicherseits. Begleitet wird er heute von Lee Johns, einem relativ neuen Rekruten, dessen offizielle Aufnahme in die ehrwürdigen Ränge der Zunft noch aussteht. Er ist ein großer, dünner junger Mann mit pickeliger Haut, der, wenn er nicht gerade seine Arbeitsuniform trägt, in ungewaschenen Jeans und Rockband-T-Shirts lebt. Er ist nicht allzu helle und hat schon einiges hinter sich, unter anderem Drogen und Obdachlosigkeit. Mit Anfang zwanzig hatte ihn die Gesellschaft bereits als Öko-Hippie und Unruhestifter abgeschrieben. Für eine Weile suchte er Trost bei anderen Demonstranten und Agitatoren, passte aber nie richtig in ihre Reihen.
Für ihn bekam sein Leben erst dann einen Sinn, als er auf dem Weg nach Glastonbury einen Abstecher nach Stonehenge machte. Nach Glastonbury wollte er, weil er hoffte, dort an billigen Stoff zu kommen und sich nebenbei vielleicht durch Kleindealerei ein bisschen Geld zu verdienen. Am Ende aber kam er gar nicht bis zu dem Musikfestival. Das Fest zur Sonnenwende in Stonehenge war so atemberaubend, dass er das Gefühl hatte, die Steine nie wieder verlassen zu können. Er blieb, half beim Aufräumen und meldete sich als Freiwilliger für alle Arbeiten, die im Zusammenhang mit den magischen Steinen anfielen.
Mit Sean arbeitet er nun schon seit knapp drei Jahren, und irgendwie verhalten sich die beiden zueinander wie Lehrmeister und Lehrling. Sean ist Lees Sponsor und lässt den jungen Mann genauso regelmäßig an seiner Weisheit teilhaben wie an dem schlammbraunen Tee aus seiner treuen alten Thermoskanne. Während jeder ihrer gemeinsamen Schichten fragt er seinen Schützling ab, um auf diese Weise dafür zu sorgen, dass er bald beschlagen genug ist, um die Aufnahme in den exklusiven Kreis der Jünger zu schaffen.
»Frage Nummer eins.« Grabb mustert seinen Schüler mit einem Habachtblick. »Was sind die Steine und was bedeuten sie für diejenigen von uns, die der Zunft angehören?«
Johns grinst – ein Kinderspiel. »Die Steine sind unsere Geheiligten. Sie sind die Quelle all unserer irdischen Energie. Sie sind unsere Beschützer und unsere Lebenskraft.«
Zur Belohnung schüttet Grabb ein wenig Tee in Lees braungeränderte Tasse. »Gut. Und
warum
schenken uns die Geheiligten solche Segnungen?«
Johns hat beide Hände um die Tasse mit dem dunklen Elixir gelegt. Er und Grabb stehen gerade neben der Verkehrsabsperrung auf dem Parkplatz. »Wir sind die Jünger der Geheiligten, die Nachfahren derer, die die Ehrwürdigen hier vor Tausenden von Jahren
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