Das Stonehenge - Ritual
daran zu ziehen, doch sie rührt sich nicht von der Stelle. Vor lauter Enttäuschung versucht es für einen Moment mit Schieben statt mit Ziehen.
Die Tapete reißt einen Spalt weit auf, und aus der Öffnung schlägt Gideon ein Schwall modriger Luft entgegen.
Gideon springt hoch wie vom Blitz getroffen. An der Wand hat sich eine dunkle Ritze aufgetan. Er greift hinein und findet einen Lichtschalter. Überrascht betrachtet er, was er da vor sich hat: einen schmalen Raum, der aussieht wie ein sehr tiefer Schrank. Auf der einen Seite stapeln sich vom Boden bis zur Decke Bücher, auf der anderen entdeckt er alte Videobänder und ein paar DVD s. An der Wand ganz hinten hängt ein alter Plasmafernseher aus der Zeit, als es noch kein HD gab.
Seine Gedanken überschlagen sich. Warum hat sein Vater diesen Raum hinter einer Tapete versteckt? Was befindet sich auf den Bändern – und warum befinden sie sich hier? Warum sind Dutzende von Büchern hier gelagert und nicht – für jeden sichtbar – in den Regalen im Erdgeschoss?
Warum war sein Vater so entschlossen gewesen, all das geheim zu halten?
Zweiter Teil
18
Mittwoch, 16 . Juni
Soho, London
Jake Timberland ist einunddreißig, erzählt aber allen, die es nicht besser wissen, er sei siebenundzwanzig. Die Dreißig hat für ihn etwas an sich, womit er nicht in Verbindung gebracht werden möchte. In Jakes Freundeskreis ist Alter so etwas wie ein großer Geburtstagssticker, den man sich als Kind an die Brust heftet, um allen zu verkünden: » ICH BIN 5 .« Bloß, dass man mit dreißig genauso gut schreiben könnte: »Ich trage gerne Hausschlappen und lege Wert auf Teppiche. Ich habe einen Hund. Familie. Einen Volvo. ICH BIN LANGWEILIG .«
Aber langweilig ist Jake bestimmt nicht. Vor allem nicht an einem solchen Abend, wenn er sich mehr Chemikalien eingeworfen hat als Pete Doherty auf Tournee.
Er selbst ist nicht reich. Sein Vater dagegen ist es, und zu allem Überfluss auch noch Banker. Beim Reichtum seiner Familie handelt es sich um die Sorte, die sich im Stammbaum so weit zurückverfolgen lässt, dass das verdammte Ding schon ein kleines Bäumchen im Garten Eden gewesen sein muss, als Adam noch auf allen vieren herumkroch. Eines Tages wird Jake das Ganze einsacken, aber bis dahin muss er sich mit einer Fünf-Millionen-Pfund-Behausung in Marylebone und einem monatlichen Taschengeld begnügen, das gerade mal ausreicht, um das Aston zu betreiben, seine Club-Rechnungen zu bezahlen, hin und wieder ein wenig zu investieren und sich in der Stadt die Nächte um die Ohren zu schlagen.
Jake ist der einzige Sohn und Erbe von Lord Joseph Timberland, und zu seinen vielen Eroberungen zählen ein paar der heißesten Models der Szene, etliche Oben-ohne-Fotomodelle, wie man sie aus den Boulevard-Zeitungen kennt, und mehrere wilde Töchter alternder Rockstars. Natürlich es in dem Zusammenhang hilfreich, wenn dein bester Kumpel für
Heat
fotografiert, aber wozu hat man schließlich Freunde?
Heute ist er besonders schick gekleidet: Zu einem blauen Anzug aus edler Seide und Baumwolle trägt er ein schlichtes Hemd in einem etwas satteren Blauton, dazu neue schwarze Lederschuhe aus Italien. Er hat auch schon ein Auge auf einen wirklich heißen Hasen geworfen – besser gesagt, eine geschmeidige Gazelle, die ganz lässig in den VIP -Bereich des
Chinawhite
stolziert ist und nun so tut, als gehörte ihr hier alles. Man braucht sie noch gar nicht lachen oder überlaut mit ihrer Gefolgschaft plaudern hören, sondern kann bereits an ihren perfekten Zähnen erkennen, dass sie Amerikanerin ist. Sie hat hohe, ausgeprägte Wangenknochen, warme braune Augen, sorgfältig zusammengebundenes, langes schwarzes Haar und fabelhafte Beine, die aus einen leicht nostalgisch wirkenden, kaftanartigen Minirock in Grün, leuchtendem Pink und Korallenrot hervorragen. Sie sieht aus wie eine Mischung aus Filmstar und Hippie.
Allein schon ihr Anblick beschleunigt seine Atemfrequenz.
In dem Moment blickt sie in seine Richtung.
O Mann. Jake hat das Gefühl, jeden Moment wie eine Ölquelle zu explodieren. Er steuert auf sie zu, durch ihre bloße sexuelle Ausstrahlung magisch von ihr angezogen. Die Geschmeidige ist von einer ganzen Schar hübscher junger Leute umringt, Jungs wie Mädchen, aber wie es aussieht, hat sie nur Augen für ihn.
»Stopp, mein Junge! Hier geht’s nicht weiter!«
Die Stimme scheint genauso aus dem Nichts zu kommen wie die große schwarze Hand an seiner Brust.
»Verzeihung.« Jake
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