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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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angebrachten historischen Abriss, nahm stattdessen einen gedruckten Führer und schlenderte umher. Vorne stand eine gewaltige, dreistufige Kanzel, darunter erstreckte sich eine Wabe rechteckiger Kabinen mit Kirchenbänken, die angeblich den Zwischendecks hölzerner Kriegsschiffe ähneln sollten. An den Türen mancher Kabinen waren Messingschilder angeschraubt, in denen Namen eingraviert waren, die anzeigten, dass sie für bedeutende Familien des Ortes reserviert waren. Die meisten dieser reservierten Kabinen befanden sich im hinteren Bereich, den der Priester aufgrund der geriffelten Säulen dazwischen kaum im Blick haben konnte. Die Reichen konnten also ungestraft seine Predigten verschlafen. Vorne jedoch, genau unter seinen Augen, waren manche Kabinen mit FREI markiert, andere mit NUR FÜR FREMDE.
      Das bin ich, dachte Martha, öffnete die Tür einer dieser Kabinen und trat hinein: Nur eine Fremde.
      Als der Riegel hinter ihr einrastete, gab ihr die enge Abgeschlossenheit ein seltsames Gefühl der Isolation und Zuflucht innerhalb der gut besuchten Kirche. Um sie herum gingen Touristen umher, Kameras blitzten auf, doch die Kabine schien die Außenwelt abzudämpfen und auf Distanz zu halten. Sicherlich eine abwegige Vorstellung, doch genau das fühlte sie in diesem Moment. Sie fuhr mit einem Finger über den abgewetzten grünen Fries, der die Seiten der Kabine verkleidete, und über die Bank selbst. Es gab sogar einen roten Teppich und gemusterte Kissen, auf denen man knien konnte. Nun war sie noch weiter entfernt von der Außenwelt. Das wäre ein gutes Versteck, wenn es jemals so weit kommen sollte, dachte sie. Niemand würde sie in einer Kirchen-kabine finden, die NUR FÜR FREMDE gekennzeichnet war. Als wäre sie unsichtbar. Sie lächelte und ging wieder hinaus.
      Über den Parkplatz neben der Abteiruine führte ein Fußweg, der Teil des Cleveland Ways war. Laut Marthas Karte führte er direkt von East Cliff bis Robin Hood's Bay. Sie beschloss, erst einmal eine kurze Strecke des Weges zu erforschen. Unterwegs hielt sie Ausschau nach Keith McLaren, wie sie es auch schon bei ihrem Besuch des Friedhofs und der Kirche getan hatte. Sie wusste bereits ziemlich genau, welche Geschichte sie ihm am Abend erzählen würde, und wenn er zufällig sehen sollte, wie sie auf dem Gelände von St. Mary's und dem Klippengipfel herummarschierte, würden ihre Lügen nur glaubwürdiger sein. Gleichzeitig wollte sie ihm nicht unvorbereitet über den Weg laufen.
      Direkt am Rand der hohen Klippen führte ein schmaler Holzsteg entlang. An manchen Stellen fehlten einige Querstreben und die Erosion hatte das Land bis zum Pfad weggespült. Zwischen dem Weg und dem jähen Abhang befand sich ein Zaun, doch auch der war hier und dort eingestürzt. Schilder warnten die Wanderer, vorsichtig und im Gänsemarsch zu gehen. Wenn man hinab auf das Meer schaute, das um die schroffen Felsen schwappte, konnte einem schwindelig werden.
      Als sie nach Saltwick Nab kam, einem langen, verwitterten und ins Meer ragenden Felsvorsprung, entdeckte Martha baufällige Holzstufen und einen nach unten führenden Pfad. Langsam stieg sie hinab zu dem rosaroten Felsen. Er begann nahe des Fußes der Klippe als großer Buckel, senkte sich dann, so dass er für ein kurzes Stück kaum aus dem Wasser ragte, und erhob sich schließlich zu einem zweiten Buckel weiter draußen im Meer. Er sah aus wie ein untergetauchtes Kamel mit einem weiten Abstand zwischen den beiden Höckern, dachte sie. Da niemand in der Nähe war, setzte sich Martha in das spärliche Gras, um eine Rast einzulegen. In der Ferne, zwischen den Höckern, fuhr ein weißer Tanker langsam am Horizont entlang. Wellen klatschten seitwärts auf den niedrigen Bereich des Nab und sprühten Gischt über den Felsen.
      Martha zündete sich die zweite Zigarette des Tages an. Draußen an der frischen, salzigen Luft schmeckte sie anders. Sie schlug ihre Beine übereinander und betrachtete den Rhythmus des Meeres, das auf den Felsen klatschte und zurückschwappte. Bald konnte sie, wenn sie die Wellen kommen sah, vorhersagen, wie stark sie brechen würden.
      Mittlerweile hatte sie ein Gefühl für den Ort gewonnen; sie fühlte sich beinah zu Hause. Soweit sie sehen konnte, gab es keine Probleme - vielleicht mit Ausnahme des Australiers. Doch selbst er erschien reichlich naiv und harmlos. Sie würde ihn bei ein paar Drinks hinhalten können und morgen würde er verschwunden sein. Jetzt musste sie nur

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