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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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gestürzt.«
      »Ich fühle mich nur so komisch da unten.«
      »Also wirklich!«, sagte Sarah. »Die verfluchten Ärzte tun so, als würde dein Körper ihnen gehören. Sie müssten dir sagen, was los ist.«
      »Vielleicht habe ich nicht bestimmt genug gefragt. Oder sie denken, dass ich noch nicht stark genug bin. Ich habe mich extrem schwach und müde gefühlt.«
      »Keine Sorge, mein Schatz. Du wirst bald wieder zu Kräften kommen. Weißt du, wenn du dich weigerst, deine Pillen zu nehmen, oder anfängst, in der Nacht zu schreien, dann werden sie dir bestimmt sagen, was los ist. Willst du, dass ich den Arzt für dich bearbeite?«
      Kirsten rang sich ein schwaches Lächeln ab. »Nein, danke. Ich brauche ihn in einem Stück. Ich versuche es später.«
      »In Ordnung.«
      »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
      »Welche Frage denn?«
      »Was du hier machst? Ich dachte, du würdest im Sommer nach Hause fahren.«
      Sarah nahm Kirstens Hand. Ihre Hand war klein und weich und hatte lange Finger mit kurzen, abgeknabberten Nägeln. »Jemand muss ja auf dich aufpassen, Liebes«, sagte sie.
      »Mal im Ernst.«
      »Das ist mein Ernst. Es ist der Hauptgrund, Ehrenwort. Gut, zu Hause hätte es sowieso nur Zoff gegeben. Du weißt, wie viel meine Eltern von mir halten. Ich setze das Ansehen der Nachbarschaft herab. Wer will außerdem schon einen ganzen Sommer in Hereford abhängen?«
      »Eine Menge Leute«, sagte Kirsten. »Es liegt schließlich auf dem Land.«
      Sarah zuckte mit den Achseln. »Vielleicht fahre ich mal kurz vorbei, aber mehr nicht. Ich bleibe hier. Wir machen einen feministischen Buchladen auf, da wo früher der Secondhand-Plattenladen war. Weißt du, wie wir ihn nennen werden?«
      Kirsten schüttelte den Kopf.
      »Harridan.«
      »Harridan? Aber das bedeutet doch ...«
      »Ja, übellaunige, alte Ziege. Erinnerst du dich noch an das Theater, als Anthony Burgess meinte, Virago wäre eine schlechte Namenswahl für eine Frauenzeitschrift, weil es grimmige oder gehässige Frau bedeutet? Tja, wir gehen noch einen Schritt weiter. Wir zeigen allen, dass Feministinnen genauso viel Sinn für Ironie haben können wie jeder andere.« Sie lachte.
      »Oder schlechten Geschmack«, gab Kirsten zu bedenken.
      »Das ist oft das Gleiche. Aber was stellen wir nun mit dir an?«
      »Was meinst du?«
      »Wenn du hier rauskommst.«
      »Keine Ahnung. Ich werde wohl nach Hause gehen. Ich fühle mich wirklich nicht gut, Sarah. Mein Kopf ... ich bin extrem durcheinander.«
      Sarah drückte ihre Hand. »Logisch. Aber das geht vorbei. Kommt wahrscheinlich von den Medikamenten, die du kriegst.«
      »Ich habe furchtbare Alpträume.«
      »Du erinnerst dich nicht, was passiert ist, oder?«
      »Nein.«
      »Dann wird es das sein. Zeitweilige Amnesie. Das Gehirn radiert schmerzvolle Erlebnisse aus.«
      »Zeitweilig?«
      »Es kann zurückkommen. Manchmal muss man daran arbeiten.«
      Kirsten wandte ihren Blick ab und schaute zum Fenster. Draußen, hinter den Blumen und den Genesungskarten auf dem Tisch, konnte sie die Wipfel der Bäume langsam im Wind schwanken und einen entfernten Wohnblock sehen, der in der Julisonne ganz weiß war. »Ich weiß nicht, ob ich mich erinnern möchte«, sagte sie leise. »Ich fühle mich so leer.«
      »Denk jetzt nicht daran. Ruh dich aus, damit du wieder zu Kräften kommst. Und keine Sorge, ich bin in der Nähe. Ich werde gut auf dich aufpassen, versprochen.«
      Kirsten lächelte. »Wo ist Galen? Die Polizei meinte, er wäre hier gewesen.«
      »Ja. Ich habe ihn angerufen, und er ist hergejagt, kaum dass ich ihm gesagt habe, was los ist. Er ist drei Tage geblieben. Er hätte die ganze Zeit an deinem Bett gesessen, wenn man ihn gelassen hätte. Auf jeden Fall hat der Tod seiner Oma seine Mutter so schwer mitgenommen, dass er wieder zurückmusste. Anscheinend ist sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Hochgradig nervöse Frau. Er hat aber versprochen, zurückzukommen, wenn du wieder bei Bewusstsein bist. Wahrscheinlich ist er schon auf dem Weg.«
      »Armer Galen.«
      »Kirsten.«
      »Ja?«
      »Ich würde nicht zu viel erwarten. Ich meine ... Ach, Scheiße, vergiss es.«
      »Was? Sag es mir!«
      »Ich meine nur, dass Männer, wenn so etwas passiert, komisch werden.«
      »Inwiefern?«
      »Sie kommen damit nicht zurecht. Sie benehmen sich seltsam ... beschämt, peinlich berührt. Sie verlieren die

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