Das stumme Lied
Whitby zu viel Energie vergeudet hatte, Fish and Chips aus dem Wege zu gehen - weil es anscheinend nichts anderes gab -, obwohl sie es eigentlich ganz gern aß, jedenfalls in Maßen.
Beim Essen erinnerte sie sich an den kleinen Imbiss in der Nähe der Universität, den sie und ihre Freunde auf dem Heimweg vom Pub häufig besucht hatten, um dann Fish and Chips im Weitergehen aus einer Zeitung zu essen. Wenn ihre Mutter sie nur hätte sehen können; sie hätte einen Anfall erlitten. Aber im Norden gab es so viele Fish-and-Chips-Läden, was sollte man machen? Obwohl sie damals nie viel darüber nachgedacht hatte, vermutete sie jetzt, dass ein großer Teil des Fisches aus Orten wie Whitby oder Scarborough kam und sogar aus den kleineren Dörfern wie Staithes. Er kam? Na ja, anscheinend wurde er geliefert. Er flog kaum von allein dorthin. Eine ganze Flotte von Lieferwagen jagte wahrscheinlich ständig von der Küste hin und her, um die Städte im Landesinneren zu versorgen. Sie hielt mit der Gabel in der Luft inne, als ihr plötzlich aufging, wie einfach das Ganze war: das letzte Stück des Puzzles. Natürlich! Wie konnte sie nur so dumm gewesen sein? Jetzt wusste sie genau, was sie als Nächstes tun musste.
Als sie aufgegessen hatte, schob sie den Teller beiseite und zündete sich eine Zigarette an. Ein oder zwei andere Gäste sahen sie böse an, doch niemand kam zu ihr und bat sie, nicht zu rauchen. Auch die Kellnerin ignorierte sie. Die hatte viel zu viel um die Ohren, um einen Gast aufzufordern, das Rauchen einzustellen. Schließlich erhielt Sue die Rechnung, zahlte und ging hinaus in die Meeresluft. Der Fischgestank schien sich nun mit dem Geruch des Seetangs vermischt zu haben, die Dieselabgase der Boote hatten sich etwas verflüchtigt.
Es ergab keinen Sinn mehr, länger in Staithes zu bleiben, dachte sie, als sie an der Hafenmauer entlangging. In ihrem tiefsten Innern war sie immer sicher gewesen, dass Whitby der Ort war, wo sie ihn finden würde. Jetzt unterstützte sogar die Logik ihren Instinkt.
Trotzdem war es angenehm, in der Sonne zu spazieren und das ruhige, blaue Meer zu betrachten. Jetzt, da sie beschlossen hatte, ihn bald zu verlassen, kam ihr der Ort nicht mehr so erdrückend vor. Sie könnte zumindest noch so lange bleiben, bis sie ihre Mahlzeit verdaut hatte. Unangenehm war nur, dass ihr Kopf unter der Perücke schwitzte und juckte.
Sie setzte sich auf die Mauer und ließ ihre Beine über den Rand baumeln. Sie lehnte sich zurück, stützte ihre Hände auf den warmen Asphalt und ließ die Sonne auf ihre geschlossenen Augenlider strahlen. Noch eine Zigarette, beschloss sie, dann ging es den langen Anstieg hinauf zurück zur Bushaltestelle. Sie veränderte ihre Sitzposition, schaute im Fahrplan nach und entdeckte, dass es einen Bus um 14:18 Uhr gab. Jetzt war es zwanzig nach eins, sie hatte also gerade den letzten verpasst. Eine Menge Zeit.
Während sie dasaß und einen entfernten Tanker beobachtete, der sich am Horizont entlangbewegte, spürte sie, dass jemand sie anstarrte. Unter der Perücke richteten sich ihre Nackenhaare auf. Erst tat sie das Gefühl als lächerlich ab. Hatte sie nicht gerade entschieden, dass sie ihren Mann in Whitby finden würde? Er konnte nicht hier sein. Dann geriet sie für einen Augenblick in Panik. Und wenn es die Polizei war? Wenn sie irgendwie auf sie gekommen waren? Sie konnte es nicht länger ertragen. Als sie langsam ihren Kopf drehte und unauffällig zum Geländer vor dem Cod and Lobster schaute, wo der Beobachter ihrer Meinung nach stand, erkannte sie eine hochgewachsene, sonnengebräunte Gestalt.
Es war Keith McLaren, der Australier, den sie in der Pension an der Abbey Terrace kennen gelernt hatte. Und er erkannte sie. Winkend und lächelnd kam er auf sie zu.
* 32
Kirsten
Der August wich dem September und die Nächte wurden kühler. Während die Wochen verstrichen, freute sich Kirsten allmählich immer mehr auf die Sitzungen mit Laura Henderson. Zusammen rauchten sie und tranken fürchterlichen Kaffee in dem gemütlichen Zimmer über dem Avon. Der Ausblick wurde Kirsten bald so vertraut, als hätte sie schon ihr ganzes Leben aus diesem Fenster geschaut: Robert Adams Pulteney Bridge mit ihren Ladenreihen auf beiden Seiten, die alle aus dem Stein der Cotswolds gebaut worden waren; der gewaltige, quadratische spätgotische Turm der Abtei; das Rathaus und die Gebäude der Stadtverwaltung. Während der langen Schweigephasen
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