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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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habe den Kampf verloren. Doch dann fällt dem bösen Samurai plötzlich der Kopf ab. Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Es gibt eine Menge böser Samurai, die noch nicht begriffen haben, dass sie tot sind. Die Atomindustrie, die Rüstungsindustrie, die Agrarindustrie, die Autoindustrie, die Genkartelle. Es braucht nur noch ein wenig Zeit, bis herunterfällt, was du ihnen abgeschlagen hast …«
    Maeva musste lachen. Sie lüftete den Schleier und gewährte dem Verdutzten einen kurzen Anblick auf ihr zur Hälfte tätowiertes Gesicht. Noch Fragen, Steve? Genau das schien die Geste ausdrücken zu wollen.
    Rudolf wusste von der Tätowierung. Er kannte auch den Grund, warum Maeva die letzten drei Monate mehr Zeit in Area als bei ihnen verbracht hatte. Auf der anderen Seite der Ahureibucht lebte der Schamane Mataora, einer von drei Priestern in Polynesien, die noch die geheime Symbolsprache der Maorimythologie beherrschten. Diese Sprache kannte keine Schrift, sie verband sich durch kunstvolle Verzierungen, durch Achsensymmetrien, Punktsymmetrien, Radialsymmetrien. Zusammen transportierten sie eine persönliche Botschaft – als Ganzkörpertattoo auf der Haut hochrangiger Maori. Das Gesicht wurde dabei nicht ausgespart. Im Gegenteil: Es war das Aushängeschild der Botschaft. Es wurden zwar keine Aussagen auf dem Gesicht getroffen, aber je kunstvoller die Linienführung, die Ornamente und Arabesken um Auge, Nase und Mund gestaltet waren, desto intensiver hatten sich die Menschen dieses Kulturkreises einst von der Geschichte beeindrucken lassen, welche symbolhaft auf den Körpern ihrer Führer nachzulesen war.
    »Heute, mein Freund, ist der Tag, an dem Mataora die Schale mit dem Gemisch aus Wasser und Asche, das er Maeva unter die Haut getrieben hatte, beiseitestellen wird. Ab heute ist Maeva für immer gezeichnet.« In Rudolfs Worten schwang ein pathetischer Unterton mit.
    »Ab heute wird sie nie wieder in der Lage sein, ihr altes Leben aufzunehmen«, gab Steve zurück. Er bückte sich nach einem Stein, warf ihn flach übers Wasser, wo er dreimal aufsprang, bevor er sich in eine Welle bohrte.
    »Richtig«, sagte Rudolf, »aber das wäre ihr ohnehin nicht vergönnt gewesen. Ich habe letzte Woche mit Omai telefoniert. Er teilte mir mit, dass die Erlauchten über ihr Schicksal entschieden hätten. Maeva darf Rapa Iti nie mehr verlassen. Sie soll leben wie eine Königin, aber eben nur hier …«
    Steve hatte das Gefühl, als trete sein Herz das Blut mit Füßen.
    Eine Woche später bat Maeva Rudolf und Steve zu sich.
    »Ich bin so weit«, sagte sie und lüftete den Schleier.
    Steve blickte benommen auf diesen Strauß dunkelblauer Linien, die an der Nasenwurzel ihren Ausgang nahmen und sich in Kreisen und Kringeln über das ganze Gesicht verbreiteten, als würde in ihrem Inneren eine Quelle sprudeln, aus der sie sich speisten.
    »Ich möchte, dass ihr mich nach Tahiti bringt«, hörte er Maeva sagen.
    Vier Tage später legte das Versorgungsschiff von Pitcairn kommend Richtung Papeete ab. Die einzigen Passagiere an Bord waren Steve, Rudolf und eine verschleierte Frau.
    Cording hatte von dem Gerücht gehört. Angeblich geisterte ein Tupapa’u über die Insel. Jemand wollte sogar mit ihm im Reva Tae gesessen haben. Jeden Tag behauptete irgendwo eine andere Person, das verschleierte Wesen gesehen zu haben. Am Strand von Faaone, in der Markthalle von Papeete, im Tal des Papenoo oder bei Pointe Vénus. In der gestrigen Ausgabe des »Tahiti Pacifique« diskutierten die Leser auf zwei Seiten über das Phantom. Sie tauschten ihre Vermutungen und Befürchtungen voller Ehrfurcht aus, als wollten sie dem Geist keinen Anlass geben, ihnen böse zu sein. Zwischen den Briefen war ein Foto zu sehen, das eine Dame in einem schwarzen Pareo zeigte, was sehr ungewöhnlich war. Auf Tahiti konnten die gemusterten Tücher nicht bunt genug sein. Die Frau war barfuß und von schlanker Gestalt, sie trug einen ausufernden Strohhut auf dem Kopf, das Gesicht verbarg sie unter einem Schleier. Das Foto zeigte sie im Gauguinmuseum beim Betrachten des berühmten Gemäldes »Manao tupapau« (Der Geist der Toten wacht).
    Die schwarze Lady wusste sich zu inszenieren. Cording wunderte sich trotzdem über das Theater, das um diese Frau gemacht wurde. Wie dünn die Kruste der Zivilisation auf Tahiti immer noch war! Kaum kratzte jemand an einem alten Mythos, wurde er auch schon lebendig. Im Fall dieser fremden Besucherin trieb die Phantasie der Menschen so

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