Das sündige Viertel
Regen durch die Straßen geirrt war, immer auf der Flucht vor Polizisten – da erst entschloß sie sich widerwillig und beschämt, Lichonin um Hilfe anzugehen. Doch Lichonin befand sich schon nicht mehr in der Stadt: kleinmütig war er abgereist, am selben Tage noch, da die unschuldig gekränkte und geschmähte Ljubka aus der Wohnung fortgelaufen war. An diesem Morgen dann kam ihr der letzte verzweifelte Gedanke in den Sinn – ins Bordell zurückzugehen und dort um Verzeihung zu bitten.
»Shenetschka, Sie sind so klug, so mutig, so gut, bitten Sie für mich bei Emma Eduardowna, auf Sie hört die Verwalterin«, flehte sie Shenka an, während sie ihr die nackten Schultern küßte und mit ihren Tränen benetzte.
»Die hört auf niemanden«, erwiderte Shenka düster. »Mußtest du dich auch mit so einem Affen und Schuft einlassen.«
»Shenetschka, Sie haben mir doch selber zugeraten«, widersprach Ljubka schüchtern.
»Zugeraten … Gar nichts hab ich dir geraten. Was erzählst du da über mich, als wäre ich schon tot … Na gut – komm.«
Emma Eduardowna wußte schon längst, daß Ljubka wieder da war, sie hatte sie sogar gesehen, als sie, sich ängstlich umblickend, den Hof überquerte. Im tiefsten Innern war sie durchaus nicht dagegen, Ljubka wieder aufzunehmen. Sie hatte sie eigentlich nur gehen lassen, weil sie das Geld lockte, von dem sie sich die Hälfte aneignete. Und außerdem hatte sie damit gerechnet, bei der saisonbedingten Prostituiertenschwemme eine große Auswahl zur Verfügung zu haben, was allerdings ein Irrtum gewesen war, denn der Zustrom riß ganz plötzlich ab. Jedenfalls war sie fest entschlossen, Ljubka wieder zu nehmen. Nur um ihr Prestige zu wahren und zu festigen, mußte sie Ljubka gehörig einschüchtern.
»Waaas?« schrie sie Ljubka an, kaum daß sie deren verlegenes Gestammel gehört hatte. »Du willst, daß wir dich wieder nehmen? Wer weiß, mit wem du dich rumgetrieben hast auf der Straße und hinter Zäunen, und jetzt kommst du Luder zurück in unser anständiges, ordentliches Etablissement! Pfui, du russisches Schwein! Scher dich fort!«
Ljubka griff nach ihren Händen und wollte sie küssen, aber die Verwalterin entriß sie ihr grob. Dann plötzlich, fahl und mit verzerrtem Gesicht, sich auf die Unterlippe beißend, holte Emma Eduardowna aus und gab Ljubka einen gezielten Schlag auf die Wange, der das Mädchen auf die Knie zwang; doch es erhob sich sofort wieder, atemlos schluchzend und schluckend.
»Nicht schlagen, Liebste … Meine Teure, bitte nicht schlagen …«
Und wieder fiel sie nieder, diesmal der Länge nach auf den Fußboden.
Dieses systematische, kaltblütige, boshafte Schlagen währte wohl zwei Minuten. Shenka, die anfangs schweigend zusah, mit ihrem gewohnten verächtlich-bösen Gesicht, konnte sich auf einmal nicht mehr beherrschen: sie kreischte wild auf, stürzte sich auf die Verwalterin, krallte sich ihr ins Haar, riß ihr den Chignon ab und begann in einem wahrhaft hysterischen Anfall zu zetern: »Dumme Gans! … Mörderin! … Gemeine Kupplerin! … Diebin! …«
Alle drei Frauen zeterten gleichzeitig, und sofort erhob sich in allen Korridoren und Zimmern des Etablissements erbittertes Geschrei. Es war ein allgemeiner Anfall von Hysterie, wie er zuweilen die Arrestanten in Gefängnissen überkommt, vergleichbar auch jenem elementaren Wahnsinn (raptus), der urplötzlich wie eine Epidemie ein ganzes Irrenhaus erfassen kann, was sogar erfahrene Psychiater erbleichen läßt.
Erst nach einer Stunde war die Ordnung wiederhergestellt, durch Simeon und zwei seiner Berufskollegen, die ihm zu Hilfe kamen. Alle dreizehn Mädchen hatten tüchtig was abbekommen, am meisten Shenka, die regelrecht in Raserei geraten war. Die zerschundene Ljubka scharwenzelte so lange um die Verwalterin herum, bis man sie wieder aufnahm. Sie wußte, daß Shenkas Skandal früher oder später schlimme Folgen für sie, Ljubka, haben würde. Shenka selbst saß bis zum späten Abend mit untergeschlagenen Beinen auf ihrem Bett, verweigerte das Essen und schickte alle Freundinnen weg, die nach ihr sehen wollten. Ein Auge war blaugeschlagen, und sie kühlte es wütend mit einer Kupfermünze. Unter dem zerrissenen Hemd sah man eine lange rote Schramme quer über ihren Hals laufen, wie die Spur eines Stricks. Da hatte Simeon ihr im Handgemenge die Haut zerkratzt. So saß sie ganz allein, mit Augen, die in der Dunkelheit glühten wie die eines Raubtiers, mit bebenden Nasenflügeln, mit
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