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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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noch Zweck. Ihr Heimatkreis Wassilkowo lag nur fünfzehn Werst von der Gouvernementshauptstadt entfernt, und das Gerücht, daß sie in ein gewisses Etablissement geraten war, hatten Landsleute längst im Dorf verbreitet. Darüber berichteten brieflich und mündlich diejenigen Nachbarn aus dem Dorf, die sie auf der Straße oder direkt bei Anna Markowna gesehen hatten – Portiers und Hoteldiener, Lakaien aus kleinen Restaurants, Droschkenkutscher und Lieferanten. Sie wußte, welcher Ruf ihr folgen würde, wenn sie nach Hause zurückkehrte. Dann schon lieber sich aufhängen, als das ertragen zu müssen.
    In Geldangelegenheiten war sie unerfahren und unpraktisch wie ein fünfjähriges Kind, und so stand sie nach kurzer Zeit ohne eine einzige Kopeke da, aber ins Freudenhaus zurückzugehen war eine Schande, und davor hatte sie Angst. Die Versuchung jedoch, eine Straßendirne zu werden, begegnete ihr auf Schritt und Tritt. Abends auf der Hauptstraße errieten die eingefleischten alten Straßendirnen sofort untrüglich ihren ehemaligen Beruf. Immer wieder wurde sie von der einen oder anderen eingeholt und mit schmeichelnder Stimme angesprochen: »Warum gehn Sie denn alleine, Mädchen? Los, laß uns Freundinnen sein, los, gehn wir zusammen! Das ist immer besser. Manche Männer wolln mit ein paar Mädchen angenehm die Zeit verbringen, und die machen immer gerne Gesellschaft zu viert.«
    Und jedesmal fing die erfahrene Anwerberin gleich an, die Vorzüge ihrer Wohnsituation zu preisen, erst so nebenher und dann schon ganz eifrig – schmackhaftes Essen, völlige Ausgehfreiheit, und man konnte der Vermieterin auch immer etwas vom Geld vorenthalten. In diesem Zusammenhang fielen übrigens viele harte und kränkende Worte über die Frauen in den geschlossenen Häusern, die »staatliche Huren« und »Edelnutten« genannt wurden. Ljubka wußte, was es mit diesen Schimpfnamen auf sich hatte, denn die Bordellbewohnerinnen blickten ihrerseits höchst verächtlich auf die Straßendirnen herab und nannten sie »Lumpengesindel« und »die Venerischen«.
    Nun ja, schließlich kam, was kommen mußte. Da sie in der Perspektive eine ganze Reihe Hungertage und den finsteren Schrecken einer ungewissen Zukunft vor sich sah, ging Ljubka auf das sehr höfliche Angebot eines grauhaarigen kleinen Alten ein, der sich wichtig gab, gut gekleidet war und einen korrekten Eindruck machte. Für diese Schande bekam Ljubka einen Rubel, aber sie wagte nicht zu protestieren: ihr früheres Bordelleben hatte alle persönliche Initiative, Beweglichkeit und Energie in ihr erstickt. Später bezahlte er ein paarmal hintereinander überhaupt nichts.
    Ein junger Mann, dreist und hübsch, dem eine Mütze mit plattgedrückter Krempe verwegen seitlich auf dem Kopf saß, und mit seidenem, von einer Schnur mit Troddeln umgürtetem Hemd, nahm sie ebenfalls mit aufs Hotelzimmer, bestellte Wein und einen Imbiß, und dann log er Ljubka lange vor, er sei der uneheliche Sohn eines Grafen und der beste Billardspieler in der ganzen Stadt, und alle Mädchen würden ihn lieben und er würde aus Ljubka auch ein flottes Frauenzimmer machen. Dann verließ er einen Augenblick das Zimmer, als hätte er etwas zu erledigen, und verschwand für immer und ewig. Der mürrische, schieläugige Portier ließ seinen Zorn an Ljubka aus, er hielt ihr den Mund zu und prügelte schweigend und schnaufend mit sachlicher Miene ziemlich lange auf sie ein. Als er sich schließlich wohl doch im klaren war, daß die Schuld nicht bei ihr lag, sondern bei seinem Hotelgast, nahm er ihr das Portemonnaie weg, in dem sie einen Rubel und ein bißchen Kleingeld hatte, und behielt obendrein als Pfand ihr billiges Hütchen und ihre Überjacke.
    Ein anderer, gar nicht schlecht gekleideter Mann von etwa fünfundvierzig Jahren bezahlte, nachdem er das Mädchen an die zwei Stunden gequält hatte, das Hotelzimmer und gab ihr achtzig Kopeken; und als sie sich beklagte, hielt er ihr mit wildem Gesicht seine riesige rotbehaarte Faust unter die Nase und sagte entschlossen: »Nun zeig mir nicht noch die Zähne … Sonst zeige ich sie dir … Ich rufe gleich die Polizei und sage, daß du mich bestohlen hast, als ich geschlafen habe. Soll ich? Du warst wohl lange nicht mehr auf dem Revier?«
    Und damit ging er.
    Und solche Situationen gab es viele.
    Als ihre Wirtsleute – ein Bootsführer und seine Frau – ihr das Zimmer kündigten und ihre Sachen ganz einfach auf den Hof hinauswarfen und als sie eine ganze Nacht schlaflos im

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