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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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krampfhaft mahlenden Kiefern, und flüsterte böse vor sich hin: »Wartet nur … Wartet, ihr Verfluchten – ich werd's euch zeigen … Ihr werdet schon sehen … Ooh, ihr Kannibalen …«
    Doch als die Lichter angezündet wurden und die zweite Verwalterin Sossja an ihre Tür klopfte mit den Worten: »Fräulein, anziehen! In den Saal!«, da wusch sie sich flink, zog sich an, bedeckte den blauen Fleck mit Puder und die Schramme mit weißer und rosa Schminke, und sie ging in den Saal, kläglich anzuschauen, aber stolz, zerschunden, aber mit flammenden Augen voll unerträglichen Zornes und übermenschlicher Schönheit.
    Viele Leute, die einmal einen Selbstmörder kurz vor seinem schrecklichen Ende gesehen haben, sagen, daß sie in jenen schicksalhaften Stunden vor dem Tode an ihm einen rätselhaften, geheimnisvollen, unerklärbaren Zauber bemerkt hätten. Und alle, die Shenka in dieser Nacht und ein paar Stunden am folgenden Tage sahen, konnten den erstaunten Blick lange nicht von ihr losreißen.
    Das sonderbarste aber (das war schon eine der düsteren Machenschaften des Schicksals): Indirekt schuld an ihrem Tode, als letzter Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, wurde kein anderer als der liebe, gutherzige Kadett Kolja Gladyschew …

2
    Kolja Gladyschew war ein netter, fröhlicher, etwas schüchterner Bursche mit großem Kopf, roten Wangen, einem drolligen weißen Milchbartstreifen auf der Oberlippe unterm ersten zarten Schnurrbartflaum, mit weit auseinanderstehenden naiven Blauaugen und so kurzem Haarschnitt, daß zwischen den weißblonden Stoppeln die rosa Haut durchschimmerte wie bei einem Yorkshire-Ferkelchen. Er war es, mit dem Shenka im vergangenen Winter gespielt hatte, manchmal mütterlich fürsorglich, manchmal wie mit einer Puppe, ihm hatte sie einen Apfel oder ein paar Bonbons für unterwegs zugesteckt, wenn er, sich vor Scham krümmend, das Freudenhaus verließ.
    Als er diesmal kam, nach langem Feldlagerleben, war an ihm auf den ersten Blick jene Wandlung zu spüren, die so rasch und kaum merklich den Knaben zum Jüngling macht. Er hatte das Kadettenkorps bereits hinter sich und nannte sich stolz Junker, obwohl er wider Willen die Kadettenuniform noch trug. Er war gewachsen, schlanker und wendiger geworden; das Lagerleben war ihm gut bekommen. Er sprach mit tiefer Stimme, und zu seinem größten Stolz waren seine Brustwarzen in diesen Monaten fester geworden, das untrügliche Zeichen für männliche Reife, soviel wußte er schon. Vorläufig genoß er, bis der strenge Dienst in der Militärschule beginnen würde, eine Zeit relativer Freiheit, verführerisch genug. Daheim durfte er schon offiziell, in Gegenwart der Erwachsenen, rauchen, der Vater selbst hatte ihm sogar ein ledernes Zigarettenetui mit seinem Monogramm geschenkt, und außerdem waren ihm, im Zuge familiärer Begeisterung, fünfzehn Rubel monatliches Taschengeld zuerkannt worden.
    Hier bei Anna Markowna war es auch, wo er zum erstenmal eine Frau besessen hatte, nämlich Shenka.
    Der Sündenfall unschuldiger Seelen in Freudenhäusern oder bei Straßendirnen kommt viel häufiger vor, als man gemeinhin annimmt. Wenn man nach dieser delikaten Angelegenheit nicht nur grüne Jüngelchen fragt, sondern auch ehrbare fünfzigjährige Männer, schon fast Großväter, dann erzählen sie vermutlich die alte, abgedroschene Lüge vom Dienstmädchen oder von der Gouvernante, die sie verführt habe. Doch das ist eine jener dauerhaften, in vergangene Jahrzehnte zurückreichenden Lügen, die kein professioneller Beobachter je recht bemerkt hat, jedenfalls hat sie noch niemand beschrieben.
    Würde jeder von uns, übertrieben ausgedrückt, die Hand aufs Herz legen und sich selbst mutig über seine Vergangenheit Rechenschaft geben, so fände gewiß jeder heraus, daß er irgendwann einmal, vielleicht schon in der Kindheit, eine prahlerische oder rührende Phantasterei von sich gegeben hat, die Erfolg hatte, und nachdem er sie zwei-, fünf-, zehnmal wiederholt hatte, wurde er sie sein Lebtag nicht mehr los und wiederholte die nichtexistente Geschichte nun schon so fest und sicher, daß er sie schließlich selbst glaubte. Im Laufe der Zeit erzählte auch Kolja seinen Freunden, daß ihn eine weitläufige Tante verführt habe, eine junge Dame von Welt. Man muß allerdings hinzufügen, daß eine intime Nähe zu dieser Dame, einer großen, blassen, schwarzäugigen Südländerin, die angenehm süß duftete, wirklich existiert hatte, aber nur in Koljas Phantasie,

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