Das sündige Viertel
ist hier Herr Jartschenko, Gawrila Petrowitsch?« sagte er, die Sitzenden reihum ansehend.
»Ich«, meldete sich Jartschenko.
»Bitte sehr, mein Herr. Das schickt Ihnen der Herr Schauspieler.«
Jartschenko nahm die Visitenkarte, auf der oben eine gewaltige Marquis-Krone prangte, und las laut vor:
»JEWMENI POLUEKTOWITSCH
EGMONT-LAWREZKI
Schauspielkünstler der hauptstädtischen Bühnen.«
»Sonderbar«, sagte Wolodja Pawlow, »daß alle russischen Garricks so ausgefallene Namen tragen, zum Beispiel Chrysanph, Fetis, Mamant und Jepimach.«
»Und außerdem haben die berühmtesten garantiert einen Sprachfehler, sie lispeln oder stottern«, fügte der Journalist hinzu.
»Ja, aber das sonderbarste ist, daß ich überhaupt nicht die Ehre habe, diesen Künstler der hauptstädtischen Bühnen zu kennen. Übrigens, hier steht ja hinten noch was drauf. Der Schrift nach zu urteilen, von einem Menschen geschrieben, der stark betrunken und schwach in Orthographie ist. ›Ich drinke‹ – nicht trinke, sondern drinke!« erklärte Jartschenko. »›Ich drinke auf das Wohl der Leuchte der russischen Wissenschaft Gawrila Petrowitsch Jartschenko, den ich zufällig sah, im Vorübergehen auf dem Korridor. Würde gerne persönlich mit Ihnen anstoßen. Wenn Sie sich nicht erinnern können, so denken Sie ans Volkstheater, an Armut ist keine Schande und an den bescheidenen Künstler, der den Afrikan gespielt hat.‹ – Ja, das stimmt«, sagte Jartschenko. »Man hat mich einmal überredet, dieses Wohltätigkeitsspektakel im Volkstheater zu inszenieren. Ich erinnere mich dunkel an ein glattrasiertes, stolzes Gesicht, aber … Was tun, meine Herren?«
Lichonin antwortete gutmütig: »Holen Sie ihn doch her. Vielleicht ist er ganz lustig?«
»Und was meinen Sie?« wandte sich der Privatdozent an Platonow.
»Mir ist es gleich. Ich kenne ihn ein wenig. Zuerst wird er rufen: ›Kellner, Champagner!‹, dann wird er weinerlich von seiner Frau schwärmen, die ein Engel ist, dann wird er eine patriotische Rede halten, und zum Schluß wird er wegen der Rechnung Skandal machen, aber nicht besonders laut. Nun ja, er ist ganz drollig.«
»Soll er kommen«, sagte Wolodja Pawlow über die Schulter von Katja hinweg, die mit baumelnden Beinen auf seinem Schoß saß.
»Und du, Weltmann?«
»Was?« fuhr der Student zusammen. Er saß mit dem Rücken zu den anderen auf dem Sofa neben der ruhenden Pascha, über sie gebeugt, und war schon lange damit beschäftigt, ihr mitfühlend und überaus freundschaftlich die Schultern und das Haar zu streicheln, während sie ihn zwischen halbgesenkten, zitternden Wimpern mit ihrem schamhaft-schamlosen, unsinnig-leidenschaftlichen Lächeln ansah. »Was? Worum geht es? Ach so, ob der Schauspieler herkommen soll? Ich habe nichts dagegen. Bitte sehr …«
Jartschenko ließ Simeon die Einladung überbringen, der Schauspieler kam und begann sofort mit der üblichen Theaterspielerei. An der Tür blieb er stehen, in seinem langen Gehrock, dessen seidene Revers glänzten, den blitzenden Zylinder hielt er mit der linken Hand vor der Brust, wie ein Schauspieler, der auf der Bühne einen bejahrten Salonlöwen oder Bankdirektor verkörpert. Diese Leute etwa stellte er sich dabei auch vor.
»Ist es gestattet, meine Herren, in Ihre intime Gesellschaft einzudringen?« fragte er mit feister, schmeichelnder Stimme und machte eine angedeutete Verbeugung zur Seite.
Man bat ihn, näher zu treten, und er stellte sich reihum vor. Beim Händeschütteln schob er den Ellbogen gespreizt nach vorn und hob ihn so hoch, daß das Handgelenk sich wesentlich niedriger befand. Das war jetzt schon kein Bankdirektor mehr, sondern ein Tausendsassa, Sportler und Zecher im goldenen Jugendalter. Doch sein Gesicht – mit dichten, zottigen Brauen und nackten, wimpernlosen Augenlidern – war das vulgäre, grobe und gemeine Gesicht eines typischen Alkoholikers, Wüstlings und kleinlich grausamen Menschen. Zusammen mit ihm kamen seine beiden Damen: Henriette – das älteste Mädchen aus Anna Markownas Etablissement, erfahren und an alles gewöhnt wie ein altes Göpelpferd, mit tiefer Baßstimme, aber immer noch schön – und die Große Manka, auch Manka Krokodil genannt. Henriette war schon seit der vorigen Nacht mit dem Schauspieler zusammen, der sie mit ins Hotel genommen hatte.
Nachdem er neben Jartschenko Platz genommen hatte, verfiel er sogleich in eine neue Rolle – er wurde zu einer Art gutmütigem altem Gutsbesitzer, der einstmals
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