Das sündige Viertel
Absicht, noch länger hierzubleiben. Ich bin zu gut erzogen, um mit solchen Subjekten Kumpanei zu machen.«
Schnell und stolz schritt er zur Tür.
Er mußte ganz dicht an Platonow vorüber, der aus den Augenwinkeln, wie ein Raubtier auf dem Sprung, jede seiner Bewegungen verfolgte. Einen Augenblick schoß dem Studenten der Wunsch durch den Kopf, Platonow unvermittelt einen Schlag zu versetzen und schnell beiseite zu springen – die Gefährten hätten sie bestimmt auseinandergebracht und es nicht zum Handgemenge kommen lassen. Doch im selben Moment sah er, fast ohne den Journalisten anzublicken, spürte er unbewußt und instinktiv dessen breite Handgelenke, die gelassen auf dem Tisch ruhten, den starrsinnig gesenkten Kopf mit der breiten Stirn und den ganzen kräftigen, bei all seiner Plumpheit dennoch gewandten Körper seines Gegners, der so lässig und breit auf dem Stuhl hockte und doch jede Sekunde zu einem raschen und gefährlichen Stoß bereit war. Und so ging Sobaschnikow hinaus auf den Korridor, die Tür laut hinter sich zuschmetternd.
»Wieder eine Schlacht siegreich geschlagen«, sagte Shenja spöttisch und flink, als er fort war. »Tamarotschka, gieß mir noch mal Kognak ein.«
Doch da erhob sich der lange Student Petrowski von seinem Platz und ergriff für Sobaschnikow Partei.
»Ihr könnt es halten, wie ihr wollt, Herrschaften, das ist Ansichtssache, aber ich gehe aus Prinzip mit Boris zusammen. Mag er auch im Unrecht sein und so weiter, wir können ihm im intimen Kreis unsere Mißbilligung aussprechen, doch da unser Freund nun einmal beleidigt wurde, kann ich hier nicht bleiben. Ich gehe.«
»Ach du, herrje!« Lichonin kratzte sich ärgerlich und nervös die Schläfe. »Boris hat sich ja schon die ganze Zeit in höchstem Grade frech und grob und töricht aufgeführt. Was für ein korporatives Ehrgefühl meinst du? Kollektives Verlassen von Redaktionen, politischen Versammlungen und Freudenhäusern. Wir sind doch keine Offiziere, die die Dummheit jedes Kameraden decken müssen.«
»Ganz gleich, wie ihr wollt, aber ich gehe, und zwar aus Solidarität«, sagte Petrowski gemessen und verließ den Raum.
»Möge dir die Erde leicht sein!« sandte Shenja ihm nach.
Jedoch wie dunkel und verschlungen sind die Wege der menschlichen Seele! Beide, sowohl Sobaschnikow als auch Petrowski, hatten in ihrem Unmut ziemlich aufrichtig gehandelt, aber der erste nur zur Hälfte und der zweite gar nur zu einem Viertel. Sobaschnikow, ungeachtet seiner Trunkenheit und seines Zornes, war der verführerische Gedanke gekommen, daß es für ihn jetzt leichter wäre und weniger peinlich gegenüber den Freunden, heimlich Shenja herausrufen zu lassen und sich mit ihr zu vereinigen. Und Petrowski, mit derselben Absicht und auf dieselbe Shenja spekulierend, war Boris nachgegangen, um sich von ihm drei Rubel zu leihen. Im großen Saal wurden sie handelseinig, und zehn Minuten später steckte die Verwalterin Sossja ihr rosiges, verschmitztes, schrägäugiges Gesicht durch die halbgeöffnete Tür des Chambre séparée.
»Shenetschka«, rief sie, »komm, für dich ist Wäsche gebracht worden, du mußt sie zählen. Und dich, Njura, bittet der Schauspieler auf einen Augenblick zu sich, er will mit dir Champagner trinken. Er sitzt bei Henriette und der Großen Manja.«
Der flüchtige und peinliche Streit zwischen Platonow und Boris blieb noch lange Gesprächsgegenstand. Immer in solchen Situationen empfand der Journalist Scham, Peinlichkeit, Mitleid und Gewissensbisse. Und obwohl alle Zurückgebliebenen auf seiner Seite waren, sagte er mit trauriger Stimme: »Meine Herren, wirklich, ich werde lieber gehen. Wozu soll ich Ihren Kreis stören? Wir waren beide schuld. Ich gehe. Um die Rechnung machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe schon alles bei Simeon bezahlt, als ich Pascha holte.«
Lichonin raufte sich plötzlich das Haar und stand entschlossen auf.
»Nicht doch, zum Teufel, ich gehe und hole ihn zurück. Ehrenwort, sie sind beide gute Kerle, Boris und auch Waska. Aber sie sind noch jung und kläffen ihren eigenen Schwanz an. Ich hole sie und verbürge mich, daß Boris sich entschuldigt.«
Er ging, doch fünf Minuten später kam er wieder.
»Die sorgen schon für ihr Seelenheil«, sagte er finster und winkte resigniert ab. »Alle beide.«
11
Zu diesem Zeitpunkt kam Simeon ins Zimmer, mit einem Tablett, auf dem zwei Gläser funkelnden goldenen Weines standen und eine große Visitenkarte lag.
»Gestatten Sie die Frage, wer
Weitere Kostenlose Bücher